«Ich werde alle Bände lesen»

Interview DISTL-Leiter Stefan Hess erzählt über sein Mitwirken am Band 5 der Basler Stadtgeschichte

Der Freiheitsbrief vom 20. Januar 1798, aufbewahrt im DISTL.

Der Freiheitsbrief vom 20. Januar 1798, aufbewahrt im DISTL.

Stefan Hess hat als Autor an der neuen Basler Stadtgeschichte mitgewirkt.Fotos: L. Degen

Stefan Hess hat als Autor an der neuen Basler Stadtgeschichte mitgewirkt.Fotos: L. Degen

Ende Oktober sind mit den Nummern 5, 6 und 7 drei weitere Bände der neuen Basler Stadtgeschichte erschienen. Stefan Hess (59), Leiter des «Dichter:innen- und Stadtmuseums Liestal» (DISTL), hat als Autor am Band 5 mitgewirkt. Im Gespräch berichtet er vom Werdegang dieses Buches und seiner Beteiligung.

Herr Hess, wie kamen Sie zur Mitarbeit an der neuen Basler Stadtgeschichte?

Stefan Hess: Das Projekt einer mehrbändigen neuen Stadtgeschichte hat eine sehr lange Vorgeschichte. Ein erster Anlauf in den 1980er-Jahren scheiterte 1992 in einer Volksabstimmung, ehe nach 20 Jahren ein Neuanfang gewagt wurde, diesmal erfolgreich. Ich bin fast von Anfang an Mitglied des 2012 gegründeten Vereins Basler Geschichte, allerdings ohne Amt oder Vorstandsfunktion. In der Konzeptionsphase wurde ich eingeladen, an einem Workshop über die Frühe Neuzeit ein ergänzendes Referat zum Hauptvortrag von Professorin Susanne Burghartz zu halten. So kam ich mit dem Projekt in nähere Berührung. Als das Projekt finanziell gesichert war und Projektstellen ausgeschrieben wurden, habe ich mich mangels Zeitressourcen neben meinen beiden Stellen als Museumsleiter in Liestal und als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Dokumentationsstelle Riehen nicht beworben. Ich wurde aber von den Herausgebern des zweiten und des fünften Bands angefragt, ob ich einen Text beisteuern könnte.

Ihr Beitrag im fünften Band befasst mit dem «Nachleben» von Peter Ochs und der Epoche der Helvetik. Welche Beziehung haben Sie zu ihm und wie kam der Beitrag zustande?

Vor zwanzig Jahren arbeitete ich an einer Dissertation über Personenkult in Basel als Mittel der Herrschaftslegitimation. Dieses schon weit fortgeschrittene Projekt gab ich aber auf, als sich mir die Möglichkeit bot, eine Auftragsarbeit über den Bildhauer Ferdinand Schlöth als kunsthistorische Dissertation einzureichen. In dieser Arbeitsphase am ersten Dissertationsprojekt haben sich Hunderte Seiten von Exzerpten, Notizen und dergleichen angesammelt, auch über Peter Ochs. Ihn habe ich gewählt als Gegenbeispiel zum Personenkult, da sein Wirken als Politiker in Basel über mehr als ein halbes Jahrhundert totgeschwiegen wurde. Diese Dokumentation bildet die Grundlage für meinen Text in der Stadtgeschichte. Bereits vor drei Jahren konnte ich mich zum 200. Todestag von Peter Ochs in einer Publikation des His-torischen Museums Basel ausführlicher zu diesem Thema äussern. In der Schreibphase gab es mehrere Workshops, in der sich die Autorinnen und Autoren des fünften Bands gegenseitig über den Fortgang und die Ergebnisse ihrer Arbeit informierten. Meinen Text habe ich bereits vor gut drei Jahren abgeliefert. Auf eine Teilnahme an der Buchvernissage am 28. Oktober 2024 musste ich jedoch verzichten, da mich damals der Aufbau der neuen Ausstellung zu Helene Bossert im DISTL stark in Anspruch nahm. Aber ich werde natürlich alle Bände der neuen Stadtgeschichte lesen und bin jetzt am vierten Band.

Wie wandelte sich das Bild über Peter Ochs im Laufe der letzten 200 Jahre?

Peter Ochs (1752–1821) war als Oberstzunftmeister eine politisch sehr wichtige Figur im Basel des Ancien Régime. In der Helvetik spielte er dann eine tragende Rolle, wurde jedoch nach seinem Sturz als helvetischer Direktor zur verhassten Figur – unter anderem, weil er die Vorarbeit für eine Verfassung nach französischem Vorbild geliefert hatte. Das «Ochsenbüchlein» wurde zum Schimpfwort. In der Baselbieter Landschaft hingegen war Ochs sehr beliebt, weil er sich für die Rechte und die Bildung der Landbevölkerung einsetzte. Schweiz-weit blieb jedoch sein überwiegend negatives Image lange Zeit an ihm haften, Ochs galt als Verräter. Erst im Zug der 200-Jahr-Feiern der Helvetik begann sich das Bild zu wandeln. Peter Ochs wird heute vor allem als Vertreter von Gleichberechtigung und sozialem Fortschritt gesehen, doch bleibt in manchen Kreisen immer noch ein Rest der über Generationen hinweg betriebenen Verteufelung an ihm haften.

Der Band 5 trägt den Titel «Hinter der Mauer, vor der Moderne. 1760–1859». Was halten Sie von dieser Beschreibung?

Mir gefällt der Titel «Hinter der Mauer», denn Basel hatte sich lange Zeit wirklich eingemauert. Die Stadtmauer spielte in dieser Epoche militärisch keine Rolle mehr, sie erleichterte aber die Personenkontrolle und wirkte vor allem auch in den Köpfen. Das konservative Denken der Basler Eliten manifestiert sich darin. Durch die Kantonstrennung fühlten sich die tonangebenden Kreise der Stadt von der übrigen Schweiz ungerecht behandelt und von der Landschaft malträtiert und beraubt. Man war dem Neuen gegenüber generell nicht aufgeschlossen, wollte unter sich bleiben, die alte Ordnung so belassen. Basel hing an «den alten Zöpfen. Bezeichnend ist das Psalm-Zitat unter dem Mähly-Plan von 1847: «Der Herr mache die Riegel deiner Thore feste und segne deine Kinder darinnen.» Dieses reaktionäre Denken galt aber nur für das politisch-gesellschaftliche Leben, wirtschaftlich verkehrte man mit der ganzen Welt.

Welche inhaltliche Ausrichtung liegt der neuen Stadtgeschichte zugrunde?

Die neue Basler Stadtgeschichte folgt einem etwas anderen Ansatz als beispielsweise die 2001 erschienene neue Baselbieter Geschichte. Dort wurden zuerst die Forschungslücken gesucht und diese mit Dissertationsprojekten und anderen Forschungen gezielt geschlossen. Die neue Stadtgeschichte hat mehr den Charakter einer Überblicks über die verschiedenen Forschungsstände, Grundlagenforschung wurde dafür nur punktuell betrieben. Das ist sehr hilfreich, da dadurch auch zerstreute neuere Forschungsliteratur erschlossen und deren Ergebnisse mit der älteren Literatur abgeglichen werden. Es werden daher kaum sensationelle Entdeckungen präsentiert. Ich schätze besonders die neuen Perspektiven, die diese Art von Geschichtsdarstellung gegenüber älteren Darstellungen bietet. So entsteht Raum für Vertiefungen der einzelnen Themen. Bei einzelnen Bänden sehe ich allerdings etwas die Gefahr, zu einer Anthologie zu werden, die ausgewählte Aspekte stark hervorhebt und andere vernachlässigt oder ganz ausklammert.

Bleiben die Vorgänger-Arbeiten zu Basels Geschichte noch gültig?

An Rudolf Wackernagels Mittelalter-Darstellung und dem Urkundenbuch der Stadt Basel wird man bei vielen Themen auch in Zukunft nicht vorbeikommen. Solch wichtige Grundlagenwerke werden durch die neue Stadtgeschichte ergänzt und – was Wackernagels vierbändiges Werk betrifft – in seiner Perspektive relativiert, aber nicht gänzlich überholt.

Woran arbeiten Sie nun weiter?

Im Rahmen meiner Arbeit in Riehen arbeite ich zusammen mit anderen Autoren am fünften Band «von Häuser in Riehen». Zudem bereite ich einen Aufsatz zur Franziskus-Kirche in Riehen vor, der nächstes Jahr zum 75-Jahr-Jubiläum der Weihe im «Jahrbuch z’Rieche» erscheinen wird. Ebenfalls im kommenden Jahr werde ich den 1967 erschienenen Roman «Der Forstmeister» des Luzerner Priesterdichters Josef Vital Kopp in der Reihe «Schweizer Texte» neu herausgeben. Daneben befasse ich mich mit weiteren Projekten, die aber noch nicht spruchreif sind.

Interview: Lorenz Degen

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