Ein Restaurant als Galerie
Liestal Das Lokal «Angolo Dolce» bietet neu Kunstschaffenden eine Plattform
Vor eineinhalb Monaten hat Erdal Koyuncuer das Lokal «Angolo Dolce» in Liestal übernommen. Für den erfahrenen Gastronomen ist es eine neue Erfahrung, sowohl vom Angebot, als auch von den Abläufen her. «Langsam habe ich mich eingelebt», sagt er zur ObZ. Im Vergleich zum Restaurant «Farnsburg», das er seit Jahren betreibt, habe die «süsse Ecke» in der Rathausstrasse ein ganz anderes Konzept. Das typisch italienische Café und Ristorante zeichnet sich unter anderem durch Konditorei und hausgemachte Dessertspezialitäten aus.
Einige kleinere Neuerungen hat Erdal Koyuncuer bereits eingeführt. So setzt er vermehrt auf Tagesmenüs, durchgehend warme Küche, aber auch auf ein kleines À-la-carte-Angebot. Und seit Neustem ist das «Angolo Dolce» auch ein Kunstraum: Momentan sind an den Wänden die Engadiner Landschaftsbilder von Victor A. Schiro zu sehen.
Die Reaktionen seien positiv, stellt Erdal Koyuncuer fest. Die Stamm- und Laufkundschaft nehme die Bilder wahr und rede darüber. «Ein Pärchen hat gleich gemerkt, dass es Bilder aus dem Engadin sind und darüber diskutiert, ob die Berge von der richtigen oder falschen Seite gemalt sind», erzählt er. Es gehe ihm aber nicht darum, mit den Bildern noch mehr Kundschaft anzulocken. Sondern vielmehr darum, das Kulturelle zu fördern und Kunstschaffenden die Möglichkeit zu geben, ihre Werke auszustellen. Auch in der «Farnsburg» habe er schon Kunstwerke ausgestellt und demnächst sei eine weitere Zusammenarbeit mit einem Künstler im Saal im oberen Stock geplant.
Im «Angolo Dolce» ist vorgesehen, dass die Ausstellung von Victor A. Schiro ein halbes Jahr oder ein Jahr hängt. Es sei dem Künstler überlassen, einzelne Werke auszutauschen, wenn er das Gefühl habe, es sei Zeit dafür, meint Erdal Koyuncuer. Er könne sich auch vorstellen, dass Schiro weitere Künstler/-innen an das Lokal vermittle oder jungen Kunstschaffenden die Chance gebe, sich gemeinsam mit ihm zu präsentieren.
«Es ist bewundernswert, was er macht», sagt Victor A. Schiro über den Liestaler Wirt. Die beiden Männer haben einen guten Draht zueinander: «Er ist ein bekannter Künstler und ein ganz guter Mensch», so Koyuncuer. Die Bilder gefallen ihm und die Zusammenarbeit sei ganz unkompliziert gewesen.
Von Kalifornien nach Liestal
Victor A. Schiro kommt ursprünglich aus Kalifornien und wohnt seit zwei Jahren in Liestal, nachdem er in den Jahren zuvor im Elsass gelebt hat. Die Schweiz und insbesondere das Engadin kennt er aber schon lange, dank seiner Frau Seraina Schiro-Jaecklin, die aus der Engadiner Künstlerfamilie Pedretti stammt. «Es gefällt mir sehr gut hier», sagt er über den Ort Liestal, der für ihn mehr ein Dorf als eine Stadt ist, im positiven Sinn. Victor A. Schiro war in Kalifornien als Künstler und Kurator tätig, wo er mit weltbekannten Persönlichkeiten wie Jasper Johns oder Roy Lichtenstein zusammenarbeitete, er hat international ausgestellt, ist mit Preisen ausgezeichnet worden und wird immer wieder zu Kunstevents eingeladen.
Trotz seinen Beziehungen und Erfahrungen ist Victor A. Schiro kein Freund der modernen Kunst. «Die Kunst hat ihren Weg verloren», erklärt er. Er vermisst das Spirituelle, das er beispielsweise in der Natur findet und das in seine Landschaftsbilder, etwa von der Sierra Nevada oder vom Engadin, oder in seine Tierdarstellungen einfliesst. Sein Ego versucht er dabei bewusst herauszuhalten. In diesem Sinn sieht er sich als «Naturalist» und fühlt sich den Entdeckern verbunden, die in der Zeit vor der Fotografie auf ihren Reisen die Landschaft skizzierten.
Die Zukunft der Kunst sieht Victor A. Schiro nicht im kommerziellen Massen-Kunstbetrieb, wie ihn beispielsweise die Art Basel verkörpert. Stattdessen beobachtet er eine Renaissance der traditionellen, figürlichen Malerei. Das Problem sei jedoch, fügt Schiro hinzu, dass es zu wenig Ausstellungsmöglichkeiten für immer mehr Künstler gebe, und dass die Galerien einander hinterher rennen würden auf der Jagd nach den ewig gleichen Trends. Vielleicht sei ihre Zeit angelaufen und Lokale wie das «Angolo Dolce» der wahre Ort, an dem eine Erneuerung der Kunst stattfinde?