«Dr Dorfgeist» wirkt seit zehn Jahren
Bubendorf Sozialhilfeempfangende und Verein «ko-operativ» blicken auf Erfolgsgeschichte zurück
Die Sozialhilfe in der Schweiz sei auf Verwalten und auf das Auszahlen der Existenzsicherung ausgerichtet, meint Matthias Gysel. «Aber bei Bekämpfung der Ursachen besteht ein grosses Manko.» Die Erkenntnis, dass es zu wenige Initiativen für Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger gibt, hat ihn vor zehn Jahren dazu motiviert, zusammen mit Gaby Merten in Bubendorf «Dr Dorfgeist» zu gründen. Das Programm bietet nicht nur Beschäftigung, sondern soll auch das Selbstwertgefühl der Betroffenen stärken und ihnen helfen, Kompetenzen zu entwickeln. In den vergangenen zehn Jahren erledigten die Teilnehmenden allerlei Dienstleistungen rund ums Haus, verkauften Adventskränze oder nahmen gebrauchte Velos für Hilfsprojekte an.
Vergangene Woche feierten die vielen Beteiligten zusammen mit dem Trägerverein «ko-operativ» ihre zehnjährige Erfolgsgeschichte. Eingeladen waren Aktive, ehemalige Mitarbeitende, Ehrenamtliche, aber auch Kundinnen und Kunden, Institutionen und Behörden.
Im Februar 2014 startete «Dr Dorfgeist» mit einem Team von 14 Personen, das diverse Aufträge für Kund/-innen in Bubendorf erledigte, beispielsweise Reinigungsarbeiten und Räumungen. Die Dorfgeister» putzen auch Waldwege und Bäche und unterstützten Papiersammlungen. Selbstverantwortung wurde gross geschrieben: «Wir haben sie auf die Schienen gesetzt, aber dann mussten sie selber vorwärts kommen», erzählt Matthias Gysel. Daneben produzierten die Mitarbeiter/-innen kunsthandwerkliche Gegenstände und Gartenfackeln, verwerteten Gemüse und Früchte, beispielsweise zu Apfelmus, Chutney oder Konfitüre, und bastelten zur Weihnachtszeit Kränze, Deko und Kerzen.
Förderung mit Schulung leider eingeschränkt
Während zwei Jahren konnten die Teilnehmenden – zusätzlich zum Arbeitsprogramm – von einer Deutsch- und Mathe-Schulung, Bewerbungstraining und persönlichen Beratungsgesprächen profitieren, mit dem Ziel, dass eine Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt möglich wird.
Auf diese Weise packte das Programm die eingangs erwähnten Ursachen an. Matthias Gysel, der jahrzehntelange Erfahrung in sozialer Arbeit und Unternehmensberatung besitzt, nennt vier Hauptursachen, warum betroffene Menschen bei Bewerbungsgesprächen leistungsbedingt durchfallen: fehlende soziale Bildung, schulische Bildung, Berufsbildung sowie die psychische und körperliche Gesundheit. Leider wurde diese von der Gemeinde finanzierte Förderung nach zwei Jahren aus Kostengründen gestrichen. Aus diesem Grund schwankte auch die Zahl der Teilnehmenden im Verlauf der Jahre stark.
Einnahmen werden über die Dienstleistungen und die Produktverkäufe generiert werden. Auf Werbung kann «Dr Dorfgeischt» grösstenteils verzichten: «Wir haben unterdessen so ein grosses Netzwerk, dass es automatisch geht», erklärt Matthias Gysel.
Der Rest wird über Spenden finanziert, sodass der Trägerverein eine ausgeglichene Rechnung vorweisen kann.
Zudem leistet die Gemeinde einen Beitrag an die Raummiete – die Räumlichkeiten des «Dorfgeischts» bestehen aus einer Eineinhalbzimmerwohnung, einem ehemaligen Stall, der als Werkstatt dient, und einem Keller sowie einem Schopf, in dem der Verein das Gastrecht hat.
Zusammenarbeit mit der «Schweizer Tafel»
Seit 2018 betreibt «Dr Dorfgeist» zudem eine Abgabestelle für Lebensmittel in Zusammenarbeit mit der «Schweizer Tafel». Dieses Angebot richtet sich an Einwohner/-innen von Bubendorf, die von der Gemeinde unterstützt werden oder vom Kanton Ergänzungsleistungen beziehen. Seit 2023 werden – auf Anfrage der Gemeinde – auch geflüchtete Ukrainer/-innen mit Lebensmitteln der «Schweizer Tafel» versorgt.
Die «Dorfgeischt»-Mitarbeitenden erhalten für ihre Einsätze – sei es in der Werkstatt, sei es für Dienstleistungen oder die Lebensmittelabgabe – kein Geld, sind also ehrenamtlich tätig, wie auch der Vereinsvorstand. Insgesamt fasst der Pool an Ehrenamtlichen, inklusive den Mitarbeitenden bei der Lebensmittelabgabe, etwa 19 Personen.
Daneben beschäftigt «Dr Dorfgeischt» einen Geschäftsführer und fünf weitere Personen, darunter zwei aus der Ukraine, als nebenamtliche Mitarbeitende im zweiten Arbeitsmarkt angestellt. Solche Stellen sind sehr beliebt, weiss Matthias Gysel. «Denn wer am Existenzminimum lebt, ist froh um jede 20 Franken zusätzlich.»