Klangbilder des Claude Debussy
Sissach Klanglichter: «Reflexionen über Klangwelten»
Die letzte Etappe der Klanglichter 2022 stand unter dem Zeichen «Reflexionen über Klangwelten» und widmete sich ausschliesslich dem Komponisten Claude Debussy (1862–1918). In den Räumlichkeiten der oberen Fabrik in Sissach gestalteten der Pianist und Klavierpädagoge Adrian Oetiker sowie Musikwissenschaftler und Literaturkritiker Roman Brotbeck vergangenen Samstagabend eine Art Gesprächskonzert, in dem die vielen Gäste einen Überblick über Debussys Leben und Werke bekamen.
Wer Ohren hatte zu hören, der hörte mehr als jeweils «nur» eine Komposition, dazu noch in hervorragender Interpretation. Oetiker eröffnete sein Konzert mit der «Suite bergamasque». Daraus spielte er «Prélude», gefolgt von «Clair de lune» und «La terrasse des audiences du clair de lune» (Die Terrasse der Audienzen im Mondlicht). Zu Letzterem, so erzählte Brotbeck, sei Debussy durch einen Zeitungsartikel inspiriert worden, in dem über die Krönung von König Georg V. zum Kaiser von Indien zu lesen war. So entstand ein subtiles Stück, das sanftes Mondlicht magisch heraufzubeschwören vermochte. Das vorerst langsame Tempo dieses Präludiums, so ist nachzulesen, hat seine eigene Ebbe und Flut – manchmal wird es schneller und lebhafter, um dann wieder zurück auf die mysteriöse Qualität der Eröffnungstakte zu weichen.
Die versunkene Kathedrale
Gleich zu Beginn spürte man die Hingabe und das Feingefühl des Pianisten Oetikers für Debussys Musik. Sie übertrugen sich sofort auf das Publikum. Im Laufe des Abends kamen unter anderen auch die «Images» zu Gehör – sechs «Bilder» für Soloklavier. Diese wurden zwischen 1901 und 1907 in zwei Büchern veröffentlicht und bestehen aus je drei Teilen. Ein eindrückliches «Bild» dann gab Oetiker mit «La cathédrale engloutie» (die versunkene Kathedrale) ab. Dieses Stück basiert auf einem alten bretonischen Mythos, in dem eine Kathedrale, die unter der Küste der Insel Ys unter Wasser liegt, an klaren Morgenstunden, wenn das Wasser durchsichtig ist, aus dem Meer aufsteigt. Seine Musik liegt tatsächlich in der Bewegung des Wassers und im Wellenspiel wechselnder Winde. Unglaublich schön, wenn nicht zu sagen magisch, wie Oetiker es schaffte, die Konzertbesucher in sinnlicher Weise und die für Debussys typische Tonmalerei in fremdartigen, sphärischen Klängen in die Welt der Träume zu versetzen. Debussy wäre stolz auf ihn gewesen. Jedenfalls ist Oetiker prädestiniert Debussys Werke vorzutragen. Ihm gelingt es, die Gegensätzlichkeit in seinen Kompositionen präzise und auf hohem Niveau zu spielen. Grossartig!
Entromantisiert und modernisiert
Nebst der einen oder anderen Anekdote schilderte Brotbeck Debussys Leben, gab den Gästen besondere Einblicke in die Werke und in die Zeit, in der der Komponist lebte. So war zu erfahren, dass Debussy kein typischer Musiker seiner Zeit war. Seine mittlerweile bekannten und berühmten Kompositionen widersetzten sich damals den traditionellen Regeln. So war es nicht üblich Quinten und Oktaven parallel zu spielen, Claude Debussy tat aber genau das Gegenteil. Ausserdem hat er mit seinen Werken die Epoche der Romantik «entromantisiert» und quasi modernisiert bis hin zum Impressionismus. Falsche oder übertriebene rhetorische Gefühle wollte er beseitigen. Nur so konnte er seiner Kunst freien Lauf lassen. Debussy hatte die Gabe, visuelle Eindrücke, die sich ihm boten oder die in seiner Fantasie aus Malerei und Literatur stammten, in Musik zu übersetzen. Zudem soll er gesagt haben: «Nichts ist musikalischer als ein Sonnenuntergang». Der langanhaltende Applaus nach dem Konzertende sowie die positiven Kommentare aus berufenem Munde bestätigten Adrian Oetiker eine herausragende Leistung.