Zu Hause in der Mehrsprachigkeit

Bilingual Reyhan Zetler aus Liestal studiert im Rahmen eines Binding-Stipendiums ein Jahr lang an der Universität Genf

Reyhan Zetler vor dem «Uni Mail»-Gebäude. Foto: zVg
Reyhan Zetler vor dem «Uni Mail»-Gebäude. Foto: zVg

Genf: eine Weltstadt, in der internationale Organisationen ihren Sitz haben. Eine Stadt, in der Diplomat/-innen und andere Vertreter/-innen von staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen sowie Studierende aus aller Welt zusammenkommen. Für junge Menschen, insbesondere aus der nahen Deutschschweiz, ist es attraktiv, einige Zeit dort zu verbringen. Nicht nur, um besser französisch zu lernen, sondern auch wegen des kosmopolitischen Flairs – und weil sich ein solcher Aufenthalt auf dem Lebenslauf immer gut macht.

Die Jura-Studentin Reyhan Zetler aus Liestal ist eines von zwölf jungen Talenten, die zurzeit von der Schweizerischen Studienstiftung und der Sophie und Karl Binding Stiftung mit einem Austausch-Stipendium gefördert werden. Vergangenen Herbst konnte sie im Rahmen ihres bilingualen Masterstudiums ihr Austauschjahr an der Universität Genf antreten.

Für die Juristin ist Genf ein idealer Studienort, weil sie sich einerseits für internationales Recht interessiert und andererseits ihre Französischkenntnisse verbessern möchte – eine wichtige Voraussetzung, wenn man in der Schweiz im juristischen Bereich tätig sein will. Ausserdem wollte Reyhan Zetler, nachdem sie an der Uni Basel das Bachelorstudium abgeschlossen und den Master angefangen hatte, einmal eine andere Stadt und ein anderes Umfeld kennenlernen.

Ein erster Unterschied zeigte sich ihr bereits am ersten Tag: das riesige «Uni Mail»-Gebäude, in dem sie sich als Neuankommende nur schwer zurecht fand. «Es gibt sogar eine App, bei der man eingeben kann, wo man seine Vorlesung hat, und die dann zum richtigen Raum führt», berichtet die Studentin. Das Schöne an «Uni Mail» sei dafür, dass man mit Studierenden anderer Richtungen in Kontakt komme, weil alle Studiengänge der Sozialwissenschaftlichen Fakultät, von Jus über Pädagogik bis Psychologie, an einem Ort konzentriert seien. Toll sei auch, dass alles sehr international sei: «Es ist spannend, dass man sich mit verschiedenen Hintergründen – ich beispielsweise vom Recht her kommend – auf internationaler Ebene treffen kann.»

Über die Sprachgrenzen hinweg

Das Stipendium ist Teil des Programms «Univers Suisse» der Schweizerischen Studienstiftung. Dieses Programm soll die Verständigung zwischen den Sprachregionen fördern und sucht deshalb jährlich Studierende für Austauschaufenthalte. Raphael Meyer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei «Univers Suisse», sieht die Stipendiatinnen und Stipendiaten auch als «Botschafter für ein verständnisvolles Miteinander über die Sprachgrenzen hinweg».

Begleitet wird das Programm von mehrtägigen Treffen, die immer in einer anderen Region der Schweiz stattfinden. Zum Teil werden sie von den geförderten Personen mitorganisiert. Reyhan Zetler empfindet diese Veranstaltungen als bereichernd: «Jemand redet auf italienisch, jemand antwortet auf deutsch – es ist wirklich schön, diese Vielfalt zu sehen», sagt Reyhan Zetler.

Für sie ist es nicht das erste Mal, dass sie sich in einem mehrsprachigen Umfeld bewegt. Aufgewachsen ist sie mit einer türkischen Mutter und einem deutschen Vater; die Matur am Gymnasium Liestal machte sie bilingual auf deutsch und englisch. Das Studium in Genf sei aber nochmals eine grössere Herausforderung, stellt Reyhan Zetler fest. Während in Liestal alles in einem geschützten Rahmen stattgefunden habe und alle etwa den gleichen Stand gehabt hätten, sei das erwartete sprachliche Niveau an der Universität dementsprechend höher und zudem würden in Genf neben anderen Austauschstudierenden auch Muttersprachler studieren.

Schnell an Situation gewöhnt

Um die Sprache zu lernen, sei das aber durchaus ein Vorteil, fährt Reyhan Zetler fort. Es komme ja nicht darauf an, von Anfang an grammatisch fehlerfrei zu reden, sondern sich verständigen zu können. Um ihre Französischkenntnisse auch ausserhalb der juristischen Terminologie in einem ungezwungenen Rahmen zu erweitern, trat sie einem Chor bei und besuchte einen Tanzkurs. «Es ist spannend, wenn man sich selbst beobachtet, wie schnell man sich an diese Situation gewöhnt und die sprachlichen Fähigkeiten zunehmen», meint Reyhan Zetler. Vor allem das Hörverständnis habe sich wegen der vielen Vorlesungen schnell verbessert, danach auch das Reden.

Umgekehrt sieht Reyha Zetler bei ihren Kommilitoninnen, dass sie zwar Deutsch in der Schule gelernt hatten, aber dass ihnen die praktische Erfahrung fehlt. Förderprogramme wie «Univers Suisse» könnten helfen, solche Barrieren zu überwinden.

Lockerer als in Basel

Auch kulturelle Unterschiede fielen ihr auf. Die Organisation sei im Vergleich zur Uni Basel lockerer: Wenn in Basel eine Prüfung um 14 Uhr angesagt sei, dann könne man sich eine Viertelstunde vorher einen Platz suchen. In Genf gehe der Raum vielleicht erst fünf Minuten vorher auf und bis alle einen Platz gefunden hätten, sei bereits zehn nach. Diese Lockerheit sei nicht unbedingt ein Nachteil, betont Reyhan Zetler: «Ich habe gesehen, es funktioniert auch so, aber ich war überrascht, weil man sich das eher von mediterranen Kulturen gewohnt ist – dabei war ich ja immer noch in der Schweiz.»

Leider konnte Reyhan Zetler nur eine kurze Zeit – physisch anwesend – in Genf verbringen, bevor sie wegen der Pandemie beschloss, wieder nach Hause zu gehen. Ihre Mitbewohner/-innen und Mitstudierenden aus der Schweiz seien auch alle wieder nach Hause gegangen. «Auch wenn ich in Genf geblieben wäre, hätte ich nicht wirklich mehr französisch sprechen können als jetzt von zu Hause aus, da jetzt jeglicher Kontakt im virtuellen Raum stattfindet», sagt die Baselbieterin. Den Kontakt zu den Kommilitoninnen und Kommilitonen erhalte sie trotzdem aufrecht und dank Online-Vorlesungen, ob live über «Zoom» oder aufgezeichnet, sei das Studium unterbruchslos weitergegangen. Auch die Prüfungen fänden auf diese Weise statt.

Engagiert für Gleichstellung

Neben dem eigentlichen Studium engagiert sich Reyhan Zetler auch im Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS). Als Präsidentin der Gleichstellungskommission des VSS untersucht sie, wie die Gleichstellung der Geschlechter an den Hochschulen der Schweiz umgesetzt wird – oder eben nicht umgesetzt wird. An der Uni Basel habe 2018 der Anteil Frauen unter den Studierenden 55 Prozent betragen, der Anteil der Dozentinnen jedoch nur 28 Prozent, verdeutlicht Reyhan Zetler. Gut sei, dass es Förderprogramme gebe, um Frauen in ihrer universitären Karriere zu unterstützen.

Ein aktuelles Projekt befasst sich damit, wie mit sexuellen Übergriffen umgegangen wird: «Was passiert, wenn es zu einem solchen Fall kommt, wie sieht die Struktur an der betreffenden Hochschule aus, welche Anlaufstellen gibt es?» Das Ziel sei, Informationen aus den Hochschulen zu sammeln und anschliessend einen Bericht zu veröffentlichen.

Durch die Arbeit im VSS wird sich Reyhan Zetler weiterhin mit Studierenden aus der ganzen Schweiz austauschen – auch wenn sie ab Herbst für ihr letztes Semester vor dem Abschluss wieder an ihre «Heimuniversität» Basel zurückkehrt. Und auch Genf wird sie voraussichtlich vor Semesterbeginn noch einmal wiedersehen, denn der Mietvertrag für ihr Zimmer läuft noch bis Mitte September. Mit einiger Vorfreude blickt Reyhan Zetler dem Sommer entgegen: «Ich hoffe, dass ich dann ein bisschen Zeit in Genf verbringen kann, um die Gegend zu erkunden, auch wenn anfangs alles anders geplant war.»

Infos zu «Univers Suisse»: www.studienstiftung.ch/bildungsprogramm/univers-suisse

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