Zu Besuch bei Menschen mit Behinderung
Lausen Die ObZ verbrachte einen Tag am Räbhof, wo Menschen mit einer Behinderung wohnen und arbeiten können
«Was du hast, können viele haben. Doch was du bist, kann keiner sein.» Mit dieser Lebensweisheit werden Besucher des Räbhof Lausen beim Eintritt begrüsst. Man steht still, liest die Aussage noch einmal, und sagt zu sich selbst: «Genauso ist es; der Satz trifft auf alle Menschen zu.» Eine Korrespondentin der Oberbaselbieter Zeitung verbrachte einen Tag im Räbhof, wo Menschen mit Behinderung wohnen und arbeiten. Seit 26 Jahren. Vor rund 35 Jahren hatte Beat Thommen, ausgebildeter Sozialpädagoge, eine Vision. Er wollte Menschen mit Behinderungen nicht ausschliessen vom gesellschaftlichen Leben; deshalb musste ein Wohnhaus und ein Atelier für Menschen mit Behinderung gefunden werden, wo diese wohnen und arbeiten konnten, und zwar im Zentrum eines Dorfes. Nah genug beim öffentlichen Verkehr, damit diese Menschen unabhängig und selbstständig zirkulieren können.
Morgens um 8 Uhr ist «Arbeitsantritt» für die Journalistin. Sie wird einer jungen Frau zugeteilt, die am Buffet und im Speisesaal hantiert. Ruhig, gekonnt, ja routiniert. Seit acht Jahren arbeitet G. von Montag bis Donnerstag in der Gruppe Interne Dienstleistungen, wo unter der Leitung von Fachpersonal die Sektoren Hausdienst, Küche, Reinigung, Unterhaltsarbeiten betreut werden. Akribisch beschreibt die 30-Jährige, welche Aufgaben ihr obliegen, nachdem sie um 7.50 Uhr ihren Dienst angetreten hat.
Zwischendurch begrüsst sie ihre Kolleginnen und Kameraden. Manchmal liegt ein kleiner Schwatz, eine lustige Geschichte, drin, aber schnell geht’s wieder ans Vorbereiten der heissen und kalten Getränke für die Pause. G. wohnt seit ein paar Wochen selbstständig in einer kleinen Wohnung, in der Nähe ihrer Eltern. «Nein», sagt sie dezidiert, «ich sehe meine Familie nicht oft, denn ich will jetzt möglichst unabhängig sein.» Sie zählt auf, welche Termine sie an ihrem nächsten freien Tag wahrzunehmen hat, die sie alle selbst abgemacht hat. «Mir gefällt es sehr hier am Räbhof», erklärt sie.
Arbeit und Pause
Nun folgt ein Abstecher in die Küche, wo Gemüse gerüstet wird fürs Mittagessen, denn die Leitung legt Wert auf gesunde Ernährung. Es fällt bereits hier und nachmittags in den Werkstätten auf, dass die Menschen zwar gemächlich, aber stetig arbeiten. Mit Ausnahmen, wie sie auch bei Nichtbehinderten vorkommen. Auch Pausen werden genau eingehalten. An den fasnächtlich dekorierten Tischen sitzen Behinderte und Mitarbeitende sowie die Geschäftsleitung bunt gemischt. An manchen Tischen würde man von aussen kaum bemerken, dass hier am Räbhof etwas anders ist als in einem «normalen» Büro. Eine Frau schimpft aufgeregt über etwas, das sie an ihrem Wohnort erlebt hat.
Beat Thommen sagt ihr, sie solle sich wehren und sagen, was nicht annehmbar ist, das sei ihr gutes Recht. Zufrieden antwortet sie: «Wenn ich das darf, mache ich das.» Viele Behinderte würden wahrnehmen, dass sie beeinträchtigt seien. Wenn ihnen dann von Nichtbehinderten keine Achtung, ja Missbilligung entgegengebracht werde, würden sie darunter leiden. So gelte es, ihnen klar zu machen, dass auch ihnen Respekt statt Demütigung entgegengebracht werde.
Nach der Pause erläutert F., welche in der Reinigung tätig ist, der Journalistin ihre Aufgaben. Sie freut sich, dass alle in ihrer Gruppe eine Art Uniform tragen, die aus einer bequemen Hose und einer netten Bluse besteht. Auffallend ist, wie genau und geduldig alle ihre Tätigkeiten beschreiben. Auf Fragen antworten sie meistens kichernd im Sinne von «Jetzt weiss die nicht einmal das». Die Mittagszeit dauert eine Stunde, wo eine feine Mahlzeit am Buffet serviert wird; nachher gibt’s Kaffee und Tee.
Jetzt geht’s vom Hauptgebäude über die Strasse in die Werkstätten. Viele erledigen ihre Arbeiten, die an Fliessbandarbeit erinnert, selbstständig. Sie führen Konfektions- und Verpackungsaufträge und einfache Montage-Arbeiten durch. Auf die Frage, ob das nicht langweilig sei, sagen alle durchs Band: «Nein, sie müssten ja nicht immer das Gleiche machen.» Dann wird genau erklärt, woraus ihre Tätigkeit besteht. Bei den meisten gewinnt man den Eindruck, sie seien stolz, etwas herzustellen. Mithilfe von Betreuerinnen werden tolle Gebrauchs- und Dekorationsartikel geschaffen, die im eigenen Laden in Liestal, dem Mosaiko, angeboten werden. B. hat heute bereits mehrere Keramikschalen kreiert. «Nun darfst du diese mit Blümchen verzieren», fordert Sina ihn auf. Die junge Frau ist Fachfrau für Kinderbetreuung und kam vor zweieinhalb Jahren an den Räbhof. Auf die Frage, ob es ihr hier gefalle, braucht sie keine lange Antwort, denn mit einem sonnigen Strahlen antwortet sie: «Ja, sehr!»
Räbhof Lausen
Im Werk- und Kreativatelier, Mosaiko und Zentrale Dienste beschäftigt der Räbhof rund 38 Mitarbeitende mit Rente. Am Räbhof stehen 15 Plätze für betreutes Wohnen zur Verfügung, in der Aussenwohngruppe 6 Plätze. Bei der Wohnbegleitung für Externe sind 7 bis 8 Plätze vorhanden. Das Werk- und Kreativ-Atelier sowie der Laden Mosaiko bietet 28 Plätze für Betreute Tagesgestaltung.
www.raebhof.ch
www.mosaiko.ch