Sprache setzt Punkte und malt Bilder

«Literatur Open Air Liestal» Peter Stamm, Angelika Overath und drei vielversprechende Poety-Slammerinnen

Im Scheinwerferlicht auf der KBL-Bühne: Poetry-Slammerin Joelle Leimer. Im Dunkeln warten bereits Fine Degen und Lea Schneider auf ihren Einsatz.Foto: M. Schaffner
Im Scheinwerferlicht auf der KBL-Bühne: Poetry-Slammerin Joelle Leimer. Im Dunkeln warten bereits Fine Degen und Lea Schneider auf ihren Einsatz.Foto: M. Schaffner

«Hesch abgnoh? Gsehsch guet us!» Das Kompliment mag gut gemeint sein, richtet aber trotzdem Schaden an. «Jetzt steht es dir zu, Mensch zu sein», scheint es zu sagen, und gleichzeitig stellt es klar, «dass mein Körper doch Teil des Problems ist». Sollte die betreffende Person «etwas anderes essen als Rüebli und Salat» – an dieser Stelle verdrehte Poetry-Slammerin Lea Schneider die Augen – und wieder zunehmen, dann würden die gewährten Privilegien wieder fallen.Mit glasklaren Einsichten brachte sie das Problem auf den Punkt und ihren Text zum Schluss: «Ja, ich habe abgenommen. Ja, ich sehe gut aus. Aber das Eine hat mit dem Andern nichts zu tun.»

Das Publikum am dritten «Literatur Open Air Liestal» klatschte noch, als schon die nächste Poetry-Slammerin die Bühne betrat. Joelle Leimer reihte kunstvoll Wörter aneinander – rhythmisch, gereimt, fast musikalisch – und erzählte ein Märchen, in dem vielleicht nicht der Drache das Monster ist, sondern der Prinz, jedenfalls eines, das nicht dazu führt, dass sich «Mädchen beim Einschlafen falsche Dinge einprägen». Das «Es war einmal» wurde bei ihr zu einem «Und es ist gut, dass es nicht mehr so ist.»

Fine Degen, die dritte junge Künstlerin, zeigte einen komplett anderen Stil, mehr in Richtung Comedy, und erzählte beispielsweise über peinliche Situationen an einem Date. Alle drei beeindruckten mit ihrer selbstsicheren, absolut professionellen Art des Vortragens. Ihre Texte waren relevant und kompakt, erzwungene Pointen oder gekünstelte Wortkonstruktionen hatten sie gar nicht nötig. Im schnellen Tempo wechselten sie sich ab und bestritten so die erste Dreiviertelstunde – ein steiler Einstieg in den langen Abend.

Gut möglich, dass das Publikum die eine oder andere von ihnen künftig andernorts wieder antreffe, meinte Rea Köppel vom «Dichter:innen- und Stadtmuseum» (DISTL), das den Anlass zusammen mit der Kantonsbibliothek (KBL) organisiert hatte. Einige heute bekannte Namen seien dereinst im DISTL auf der Bühne gestanden, etwa Leute wie Hazel Brugger.

Eine Reise von Chur nach Istanbul

Wie schon letztes Jahr musste das «Literatur Open Air Liestal» aus Wettergründen vom Zeughausplatz in die KBL verlegt werden. «Bitter», fand Cedric Lutz von der KBL, «nachdem wir es so lange so schön gehabt haben.» Der Veranstaltung an sich tat der Ortswechsel jedoch keinen Abbruch: Was an frischer Luft fehlte, wurde durch Intimität wieder wett gemacht. Und das von Anfang bis Ende gehaltvolle und fesselnde Programm holte die zahlreichen Anwesenden nach den Erfrischungs- und Atempausen immer wieder auf die Stühle zurück.

«Ich finde es ein bisschen schwierig, nach so grossartigen Poetry-Slammerinnen zu lesen», gab Schriftstellerin Angelika Overath zu. Da hilft nur ein harter Schnitt: «Wechsel der Töne, Wechsel der Generationen.»

Overath nahm die Zuhörenden auf eine Reise von Chur nach Istanbul mit, liess die Landschaften des Balkans am vorbeiziehen und tauchte in die Biografien der Mitreisenden ab. Die Szenen, die sie aus ihrem neuen Roman «Unschärfen der Liebe» vorlas und kommentierte, waren atmosphärisch dicht: Abschied am Bahnhof, Nacht in Slowenien, Sommerblumenfelder, ein Junge mit Fahrrad an einem Bahnübergang, ein nächtlicher Grenzübertritt mit stundenlanger Warterei und einem «Katzenaufruhr» – Vorzeichen einer nahenden Katastrophe – und schliesslich ein Erdbeben in der Türkei. Eindrücklich war der Monolog eines Fischers, der den Protagonisten über den Fluss bringt und der Frau und Sohn bei einem anderen Erdbeben verloren hat und als Einziger bis heute überlebt hat.

Stimmiger Abschluss mit Peter Stamm

Nach dieser Erzählstunde vollzog sich der Übergang zum letzten Programmpunkt fast organisch, obwohl Tonalität und Stil nochmals wechselten. Peter Stamm, ein fester Wert in der Schweizer Literaturszene, umriss seinen neuen Roman «In einer dunkelblauen Stunde» mit ausgewählten Passagen. Das Buch ist quasi eine Nabelschau, aber aus Aussenperspektive. Es handelt von einem Autor, dessen Innenleben zuerst ein Filmteam und dann, posthum, eine Jugendliebe zu Nachforschungen anregt, geschrieben in knapper und doch bildmächtiger Sprache – ein passender Abschluss für ein stimmiges «Literatur Open Air».

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