Sonne im Herzen und Maien am Hut
Liestal Der Banntag ist in der Residenz nach wie vor der festlichste (Sonn)-Tag
Bereits am frühen Montagmorgen machte sich im Stedtli trotz Pulverdampf und Vorderlader-Knallern ein Hauch von Melancholie breit. Denn als ab viertel vor acht Uhr die über 500-jährige Glocke vom Dachreiter des Törlis herab ihren weichen Klang verbreitete, wurde den über 1000 Liestaler Mannen und Gästen erstmals so richtig warm ums Herz. Da spürten alle: Vor ihnen liegt ein Tag, an dem diese so verschworene Gemeinschaft ihren uralten Brauch der Grenzbegehung in allen Formen und archaischen Traditionen ausleben und zelebrieren kann. Für Domenic Schneider, Chef der dritten Rotte, ist die Stunde vor dem «Vorwärts Marsch!» sogar die Emotionalste des ganzen Tages. Er sitzt nämlich, noch bevor der grosse Rummel in der Rathausstrasse losgeht, in sich eingekehrt alleine auf einem Bänklein. «Da wird mir bewusst, an welche Werte von Freiheit und Heimatverbundenheit wir uns am Banntag erinnern dürfen», gesteht er mit feuchten Augen. Bald aber fertig mit Träumen, denn Punkt acht Uhr kommandiert Schneider «Banntag 2023, dritte Rotte, vorwärts Marsch!» Mittendrin der Berichterstatter der ObZ, der als Gast vom Ärdbeerihübel das Geschehen seit vielen Jahren hautnah verfolgt.
Mit viel Fleiss zum Znüni
Es geht los: Sechserkolonne, Stock geschultert, rottenweise Ausmarsch aus dem Stedtli hinter Tambouren, Pfeifern und der jeweiligen Fahne. Trotz (noch) zweifelhaftem Wetter: Die Banntägler tragen die Sonne im Herzen und prächtige Maien am Hut. Also beste Voraussetzungen für ihren so einmaligen Festtag. Der dritten Rotte steht der mühsame Aufstieg vom Chlöpfgatter hinauf zur Deponie Elbisgraben bevor, weiter über den Chapf zu den Dreilaufbuchen. Eine Mühsal die zünftig in die Knochen geht, die aber als Pièce de Résistance rasch der Vorfreude auf den Znünihalt weicht. Dort, wo Rottenwirt Willy Wyss mit Schüblig und genügend Tranksame, sprich gespritztem Weissen aus dem 4 Deziliter-Muff, dafür sorgt, dass keiner der müden Wanderer hungert oder dehydriert. Also, es ist angerichtet, und in froher Männerrunde wird’s erstmals so richtig gemütlich. Mit zunehmendem Sättigungsgrad steigt sodann auch der Stimmungspegel. Da ein träfer Spruch zu jenem, dort ein kleines Witzchen zum andern, allerlei Bla-Bla, viel Gelächter – am Banntag darf man(n) eben auch mal eine fröhliche Klatschtante sein.
Von der Kiste herab
Getreu dem Protokoll schart nun Domenic Schneider seine mittlerweile gut genährte rund 200 köpfige Truppe zur obligaten Banntagsrede um sich. Ein wichtiges Ritual, das gewissermassen der biblischen Bergpredigt gleichkommt. Der Redner auf der Kiste, eine exklusiv nur in der dritten Rotte eingesetzte «Waldbühne». Das macht den Znünihaltplatz Dreilaufbuchen gewissermassen zur Plattform à la Hyde Park Corner. Dem Rottenchef ist es dabei hervorragend gelungen, in seinen Betrachtungen die Trends und Entwicklungen in unserer Gesellschaft kritisch zu hinterfragen, das Ganze aber mit gebotener Ironie und feinem Witz einzuordnen. Er sei zwar ebenfalls viel digital unterwegs, habe sogar mit dem neusten Schrei der künstlichen Intelligenz bei Chat GPT wissen wollen, was der Banntag sei. In einer von vielen Fake-Antworten werde gesagt, ein Mitglied des grossen Rates halte die Banntagsrede. Mit solchen «Müsterchen» hatte Schneider die Lacher natürlich auf seiner Seite. Der anlässlich des Appells auf die Kiste «befohlene» Regierungsrat Anton Lauber stand dem Rottenchef sodann in Sachen Witz und Biss in nichts nach. Dass heuer keine Basler Promis dabei waren, habe immerhin den Leuten am Strassenrand erspart, ihnen zuzuwinken, so der Baselbieter Finanzdirektor. Mit einem pathetischen Lob auf den Banntag hat auch Jon Häfelfinger, CEO der BLKB, von der Kiste herab gepunktet. «Tradition kann man nur bewahren, wenn man das Feuer weiter gibt, und nicht die Asche anbetet.» Möge er recht haben.