Silhouetten regen zum Umdenken an

Behinderungen Wanderausstellung «Sichtbar werden auf dem Schild-Areal»

Mit einer Vernissage wurde die Ausstellung auf dem Schild-Areal eröffnet. Von links: Nicolas Rinderspacher, Organisator, Karl Emmenegger, Protagonist, Pascal Güntensperger von «impulse Basel», Anja Weyeneth, OK, ESB. Fotos: Pascal Feig

Mit einer Vernissage wurde die Ausstellung auf dem Schild-Areal eröffnet. Von links: Nicolas Rinderspacher, Organisator, Karl Emmenegger, Protagonist, Pascal Güntensperger von «impulse Basel», Anja Weyeneth, OK, ESB. Fotos: Pascal Feig

«Diszipliniert ausruhen» stellt für manche Menschen eine wahre Denksportaufgabe dar – auch dies eine unsichtbare Barriere in der Arbeitswelt.

«Diszipliniert ausruhen» stellt für manche Menschen eine wahre Denksportaufgabe dar – auch dies eine unsichtbare Barriere in der Arbeitswelt.

Manche mögen sich noch an die lebensgrossen, schwarzen Silhouetten in der Rathausstrasse in Liestal erinnern. Die Ausstellung «Unsichtbar» machte vor fünf Jahren darauf aufmerksam, dass Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft oft unsichtbar sind. Nun kehrt die Ausstellung zurück, und zwar an einen Ort, der einen speziellen Bezug zur Thematik hat: aufs Schild-Areal. In dem Gewerbegebiet stehen 250 von 900 Arbeitsplätzen für Menschen mit Beeinträchtigungen zur Verfügung.

Dass Menschen mit und ohne Unterstützungsbedarf im Schild-Areal arbeiten, hat eine lange Tradition. Die Eingliederungsstätte Baselland (ESB) ist schon lange hier ansässig, später kamen «inclusioplus» und der Verein für Sozialpsychiatrie Baselland dazu. Das Nebeneinander sei kein Problem, sagt Marc Löhle, Geschäftsführer der Areal-Eigentümerin Schild AG: «Diejenigen, die schon lange hier sind, wissen, wie man sich begegnen kann.» Bei neuen Mitarbeitenden stelle sich zuerst ein Moment der Verunsicherung ein, wenn sich eine laute, lachende Gruppe durchs Areal bewege und sich nicht so verhalte, wie man es erwarten würde. «Aber das Schöne ist, dass diese Unterschiede existieren und es trotzdem funktioniert», findet Marc Löhle.

Sichtbarkeit ist aber selbst auf dem Schild-Areal nicht selbstverständlich. «Viele fahren am Morgen hierher und am Abend wieder weg, ohne Beziehungen aufzubauen», stellt Marc Löhle fest. Er hofft, dass die acht auf dem Areal verteilten Silhouetten sie ein bisschen «aus dem Schneckenhaus» holen.

Barrieren, Vorurteile und Ängste

Für die beschrifteten Metall-Silhouetten sind echte Menschen Modell gestanden, die mit kurzen Texten auf sichtbare und unsichtbare Barrieren am Arbeitsplatz aufmerksam machen. Ein Beispiel: Hat es im Pausenraum nur Stehtische, ist es schwierig, Menschen im Rollstuhl wirklich «auf Augenhöhe» zu begegnen.

Auch Vorurteile sind immer noch weit verbreitet. So werden Menschen mit ­einer Hörbehinderung als weniger intelligent wahrgenommen, wie einer der Protagonisten erzählt: «Als Schwer­höriger hatte ich immer mal wieder das Gefühl, dass ich mehr leisten muss, um überhaupt dabei zu sein.»

Und dann gibt es den häufigen Fall, dass nicht nur die Barrieren unsichtbar sind, sondern auch die Beeinträchtigungen an sich. Auf dem Schild-Areal arbeiten beispielsweise Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Einer von ihnen berichtet aus seinem Alltag: «Ich gehe am Morgen zur Arbeit und es sieht aus, wie wenn ich einer normalen Arbeit nachgehe. Nur die, die mich kennen, wissen, dass ich einen betreuten Arbeitsplatz habe.» Aber diese Unsichtbarkeit sei nicht nur ein Nachteil: «Ich bin froh, dass ich nicht angeschrieben bin.»

Zu den unsichtbaren Barrieren und Beeinträchtigungen können sich auch Ängste gesellen. Als IV-Rentner erarbeite er seinen Lohn nicht selber, meint ein Kollege: «Ich bin abhängig von einem System, das mich trägt.» Das empfinde er als eine gewisse Bedrohung.

Anja Weyeneth, Kommunikations­verantwortliche der ESB, führt ein weiteres Beispiel von Unsichtbarkeit auf: «Wenn jemand 20 Prozent arbeitet, heisst das nicht, dass diese Person 80 Prozent freihat.» Die übrige Zeit könne beispielsweise mit Therapie gefüllt sein.

Wenn es konkret wird, kommen die Ausreden

Die Wanderausstellung mit den Silhouetten war Teil einer schweizweiten Kampagne, die nicht nur auf Barrieren, sondern auch auf Unternehmen hinwies, die vorbildhaft bei der beruflichen Chancengerechtigkeit sind. Initiiert wurde sie von der Organisation «impulse» mit Sitz in Basel, die auch das Label «iPunkt» vergibt. Dieses wird an Firmen verliehen, die Fachkräfte mit Behinderungen einstellen. Seit die Kampagne zu Ende ist, sucht «Impulse» nach weiteren Orten, an denen die Ausstellung gezeigt werden kann. Bei der Schild AG stiess sie auf offene Ohren. Geschäftsführer Marc Löhle empfindet Mitarbeitende mit einer Beeinträchtigung als bereichernd: «Sie bringen andere Ansichten in den Betrieb.» Er glaubt, dass viele Arbeitgeber aufgeschlossen sind und sich in der Verantwortung fühlen. Aber wenn es dann um eine konkrete Einstellung gehe, kämen die Ausreden. Marc Löhle ist sich bewusst, dass dabei die Firmengrösse eine Rolle spielt. Für kleine Unternehmen sei es schwierig, aber die Grossen sollten als Vorbild vorangehen.

Behinderungen entstehen erst im Wechsel mit der Gesellschaft

Pascal Güntensperger, Leiter des Labels «iPunkt», hofft, dass die Ausstellung zu einem Perspektivenwechsel beiträgt. In den Köpfen vieler Arbeitgeber sei immer noch, dass eine Person mit Behinderungen «geflickt» werden müsse oder dass man ihr Hilfsmittel geben müsse, damit sie arbeiten könne. Diesem «medizinischen» Verständnis, das die Behinderung am Menschen festmacht, stellt Güntensperger dasjenige der UNO-Behindertenkonvention entgegen: Ein Mensch sei in erster Linie ein Mensch – erst in der Wechselwirkung mit dem Umfeld komme es zu Behinderungen. Deshalb sei es besser, nicht von «Behinderung», sondern von Behinderungen im Plural zu reden.

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