Hauptsache, es brennt

Gerold Ehrsam

Gerold Ehrsam

Nein, ich bin kein Pyromane. Wenn schon, dann eher Libromane, Büchernarr, wenn es denn diesen Begriff gäbe.

Und doch. Feuer mag ich. Zum Beispiel die Höhenfeuer am ersten August, und, ganz besonders, den archaischen Brauch des Chienbäse-Umzugs in Liestal.

Wo ist nun der Zusammenhang zwischen Feuer und Büchern, werden Sie sich fragen. Tja, leider ist es so: Bücher werden seit Jahrhunderten verbrannt, immer wieder. Beispielsweise früher durch die Inquisition der katholischen Kirche, im Zwanzigsten Jahrhundert durch die Nazis in Deutschland. Alles lange her, werden Sie sagen. Stimmt. Aber: Es gab auch noch 1965 eine Bücherverbrennung. In der Schweiz. Ironischerweise unter Mitwirkung von zwei Brandrednern. Der Zweck des Ganzen: «Schund, Schmutz und Dreck» verbrennen, so einer der Redner der Aktion «Feuertod dem Schund». Schund, was ist das? Heute wird die Frage auch bei uns ausgeweitet und kontrovers, und oft sehr heftig, diskutiert: Was ist «Schundliteratur», was «politisch korrekte»? Wie sieht «genderkonforme Literatur» aus, wie «nicht rassistische»?

Jahrhundertelang führte der Vatikan eine Liste verbotener Bücher, den sogenannten Index. Wer darauf aufgelistete Bücher besass, kaufte oder las, konnte exkommuniziert werden. Erst 1966 hat der Vatikan diesen Index der verbotenen Bücher aufgehoben.

Glücklicherweise hinken wir in Europa den USA meist einen bis zwei Schritte nach, wenn es um neueste Entwicklungen geht. So auch in der Frage, wie man aktuell mit Büchern umgehen soll. Müssen sie von Begriffen gesäubert werden, die angeblich nicht mehr zeitgemäss sind, aber es damals waren, als das Buch geschrieben wurde? Soll man sie aus den Bibliotheken verbannen? Die American Library Association veröffentlicht jedes Jahr eine Liste derjenigen Bücher, Klassiker notabene, die davon bedroht sind, zensuriert, oder gar aus den Bibliotheken entfernt zu werden. Vereinzelt ist auch schon der Ruf nach dem Verbrennen unliebsamer Bücher ertönt. Dies im einundzwanzigsten Jahrhundert.

Wenn nun diese bücherverachtende und erschreckende Entwicklung auch bei uns Einzug hält, wovon ich ausgehe, und wofür es bereits Anzeichen gibt? Wie soll ich mich verhalten? Am besten gehe ich wohl meine geschätzt 3000 Bücher durch, sortiere die gefährdetsten aus, und entsorge sie. Aber welche? Und wie? Vielleicht muss ich die meisten meiner Bücher weggeben. Denn ich habe viele Bücher, die vor langer Zeit geschrieben wurden, und eindeutig nicht in heutiger Sprache. Darüber hinaus steckt in jedem Buch die Möglichkeit, dass es zum Denken anregt. Das könnte gefährlich sein.

Sie finden, ich male zu schwarz? Ich wünschte, es wäre so.

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Was bedroht uns, wenn nicht Bücher: Ablenkung durch Fernsehen, Internet, Computer, Autos, ... ? Ich halte es mit Bundesrat Hans-Peter Tschudi, der 1965 als Bundespräsident formulierte: «Viel mächtiger ist heute die Gefahr, dass überhaupt nicht gelesen wird, weder gute noch schlechte Bücher.»

Lasst uns lesen. Tragen wir Sorge zu Büchern. Denn zum Verbrennen eignen sie sich nicht. Abgesehen von den dabei entstehenden schädlichen Rauchgasen, die wir uns nicht leisten können. Nein. Bücher brauchen einzig und allein das innere Feuer von uns Leserinnen und Lesern. Hauptsache, es brennt.

Gerold Ehrsam

Gerold Ehrsam lebt in Liestal und bezeichnet sich als «Schreiber und Wörterer». Bekannt ist er für seine Lyrik, die er auch gerne performt. In seiner neuen ObZ-Serie «Ungereimtes ungeschminkt» wird er in lockerer Folge über Aussergewöhnliches, Alltägliches und Poetisches schreiben.

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