Die Grande Dame der Reportage
«Irrland» Margrit Sprecher in der Kantonsbibliothek Liestal
«Irrland» ist der Titel einer ihrer Reportagen, die im Buch zusammengefasst sind, aus dem sie las und erzählte. Wie Irland in nur zwanzig Jahren reich und wieder arm wurde. Nach der Verschiebung vom Frühling auf den Sommer war sie nun glücklicherweise und lange ersehnt da, die «Grande Dame der Schweizer Reportage». Autor Thomas Hürlimann beschreibt sie gar als «Königin der Reportage. Sie schreibt empfindsam, faktenreich und immer glaubwürdig. Wahrheit als Dichtung.» Besser könnte man es nicht ausdrücken. Und Ferdinand von Schirach bewundert ihre Klarheit, ihre Sprache, ihren Mut, ihre Wahrhaftigkeit und vor allem die tiefe Menschlichkeit ihrer Reportagen.
Von der Moderatorin und Leiterin der Bibliothek, Susanne Wäfler, auf ihren einzigartigen, ansprechenden und eindrücklichen Stil angesprochen, meinte die Journalistin, dass sie diesen selber hatte finden müssen, da damals die Journalistenausbildung noch nicht existiert habe. In Chur 1936 geboren und aufgewachsen liess sie sich zur Dolmetscherin ausbilden. Mag sein, dass ihr damit das genaue Zuhören am Herzen lag und die gegenseitige Verständigung. Und ihr half, die Menschen zu verstehen, die sie als Reporterin interviewte und begleitete. Sei es mit Todgeweihten in USA oder zum Glück auch bei Heiterem wie dem Theater im Muotatal oder in der High Society in St.Moritz, die sie mit liebevollem Witz oder ironischer Kritik beschreibt.
Dies kam auch zum Ausdruck in den Auszügen ihrer Lesung. Tiefe Betroffenheit und Empörung über ihre Eindrücke löste ihre Beschreibung «Ein Gefängnis namens Gaza» aus, in der sie ihre (insgesamt vier) Besuche dort schildert und die Begegnung mit der palästinensischen Bevölkerung, die gedemütigt wird und deren Kinder im Kugelhagel der Israelis sterben. Die Zustände dort, stellte sie fest, wurden immer unerträglicher. Mit ihren vier Reisen dorthin wollte sie diesen leidenden Menschen, die keinen Einfluss auf ihre fanatischen kriegerischen Regierenden haben, eine Stimme geben. Diese Reportage brachte sie, nicht ganz ohne Widerstand des Chefredaktors Roger Köppel, in der Weltwoche.
Nach dem bedrückenden Thema konnte das Publikum wieder aufatmen und die Anspannung mit Lachen lösen. In «Es muss nicht immer Kaviar sein» nimmt sie die Zuhörenden mit zum St.Moritzer Gourmet-Festival und seinen Gästen. Die einzigartige Journalistin schrieb zuerst für Elle, Züri-Woche, Weltwoche, später für die NZZ, GEO, DU, und erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Es erschienen auch mehrere Bücher, in denen ihre vielen Reportagen über verschiedenste Themen festgehalten sind, beispielsweise «Leben und Sterben im Todestrakt», «Gerichtsreportagen aus der Schweiz», aber auch Harmloseres wie «Bündner – Menschen und Momente».
Vielleicht ist es ihre sympathische, fast ein wenig schüchterne, auf jeden Fall zurückhaltende Art, so wie sie in ihrem blauen Kleid in Liestal in Erscheinung trat, dass ihr so viele Menschen Vertrauen schenkten bei den Interviews. Professionell, kritisch, genau hinschauen, aber stets auch nach dem Positiven Ausschau haltend. Sie schreibe aus dem Bauchgefühl heraus und konsultiere dann den Verstand. Eine mutige und aussergewöhnliche Frau, die man in dieser Veranstaltung der Kantonsbibliothek ein Stück weit kennen lernen durfte! Ihr neues Buch liest sich so spannend und unterhaltend wie ein Krimi, mit dem Unterschied, dass es auf Tatsachen beruht, die nachdenklich machen und Fragen aufwerfen.