Dem Kind von damals auf der Spur

Liestal Ernestine Zink hat sich auf Spurensuche begeben

Ein Foto aus Kindheitstagen.

Ein Foto aus Kindheitstagen.

Aus der Spurensuche ist ein Buch entstanden. Fotos: zVg

Aus der Spurensuche ist ein Buch entstanden. Fotos: zVg

Ernestine Zink heute.

Ernestine Zink heute.

Anlässlich eines runden Geburtstags hat sich Ernestine Zink die Frage gestellt: Was ist eigentlich meine Geschichte? Zuerst stellte sie ein kleines Büchlein mit Texten und Fotos zusammen mit dem Ziel, die eigene Identität zu klären: Wer bin ich eigentlich? Und auch: Wer war ich früher, wie bin ich zu dem Menschen geworden, der ich heute bin? «Der Wunsch, das Kind zu entdecken, das ich einmal war, wurde immer stärker», berichtet Ernestine Zink.

Und so begann sie, sich an Nachmittagen Zeit zu nehmen, in die Kantonsbibliothek Liestal zu gehen und – ganz locker – Kindheitserinnerungen aufzuschreiben. «Was sind meine Wurzeln, was habe ich erlebt, wie ging es mir, was war das für eine Zeit?» Solchen Fragen ging sie zwei Jahre lang nach, «ohne weitere Hintergedanken», wie die Mittsiebzigerin sagt. Eine Freundin machte sie auf den Link von «Edition Unik» aufmerksam, ein Kulturprojekt, das dem biografischen Schreiben gewidmet ist.

Im Unterschied zu Schreibkursen und ähnlichen Angeboten, beispielsweise von Verlagen, geht es bei «Edition Unik» nicht darum, am Ende ein Buch zu vermarkten, sondern um den Schreibprozess. Hinter dem Projekt steckt das Kulturbüro von Martin Heller in Zürich. Ziel der «Edition Unik» ist laut den Initianten, Schreibbegeisterte zu unterstützen, die «auf ihr Leben zurückblicken und ihre Geschichten zu Papier bringen» möchten. Das Versprechen: Wer das begleitete Programm durchläuft, das jedes Jahr zweimal angeboten wird (in einer Frühjahrsrunde von Januar bis April und einer Herbstrunde von August bis Dezember), hält in vier Monaten ein druckfrisches Buch in den Händen.

Täglich eine Stunde schreiben

Ernestine Zink hat sich auf das Experiment eingelassen und besuchte die Startveranstaltung in Basel, zusammen mit rund 30 anderen Teilnehmenden. Im Verlauf der Projektzeit kamen die Schreibenden, von denen die meisten im Alter zwischen 60 und 80 Jahren waren, mehrmals zusammen, um sich auszutauschen. Ernestine Zink empfand die Begleitung als Bereicherung: «Hemmungen kann man leichter abbauen, wenn man jemanden hat, der einen ermutigt», sagt die Liestalerin. Die Motivation, den Stoff zu bearbeiten, müsse man aber schon in sich selber spüren.

Technisch gesehen war das wichtigste Hilfsmittel die App, die sich die Teilnehmenden auf ihrem Computer installieren konnten und die es ihnen ermöglichte, ganz strukturiert ihren Text zu verfassen. Die Unterstützung habe sich auf das Formelle beschränkt, merkt Ernestine Zink an. Inhaltlich seien die Teilnehmenden auf sich selbst gestellt gewesen.

Als hilfreich habe sie den Druck empfunden, der durch den engen Zeitrahmen aufgebaut worden sei. Die Anregung von «Edition Unik» war, in den ersten fünf Wochen jeden Tag eine Stunde mithilfe der App zu schreiben. «Da ich schon Material hatte, ist es mir nicht schwergefallen», blickt Ernestine Zink zurück. In den fünf Wochen sei das Schreiben ihre Hauptbeschäftigung gewesen, viel anderes habe sie daneben nicht gemacht.

Nach einer Woche Pause ging der Arbeitsprozess in eine nächste Stufe über: die Texte neu zusammensetzen und einen «roten Faden» hineinbringen. Und schliesslich kam nach insgesamt vier Monaten die Deadline: «Man musste den roten Punkt anklicken, und von dann an konnte man nichts mehr ändern», erzählt Ernestine Zink.

Realität und Fiktion

Ihr Buch ist am Ende keine reine Autobiografie geworden, sondern ein Roman mit autobiografischen Elementen. Die realen Erinnerungen aus ihrem Leben sind in eine Rahmengeschichte mit einer fiktiven Person eingebettet, sodass man beim Lesen nicht merkt, was wirklich passiert ist und was erfunden ist.

Aus dem Klappentext: «Lore führt als Mutter von zwei kleinen Kindern und als Kuratorin ein vielseitiges Leben. Sie hat die Chance, die Ausstellung einer bedeutenden Künstlerin zu planen und durchzuführen. Gleichzeitig ordnet sie die Hinterlassenschaft ihrer Mutter, die unerwartet gestorben ist. Dabei findet sie Geschichten über ein Kind. Durch das Lesen dieser Texte gerät sie allmählich auf Spurensuche. Es beginnt eine intensive Auseinandersetzung mit der Beziehung zur Mutter und mit der Vergangenheit. Dies verändert ihre Sicht auf das, was im Leben wirklich zählt, und ihre Identität gerät ins Wanken.»

Mut haben, anzufangen

Nun hält Ernestine Zink also zwei gedruckte Exemplare ihres Buches in den Händen. Weitere könnte sie bestellen, aber zu einem Stückpreis, bei dem eine Vermarktung im Buchhandel nicht rentabel wäre. Würde sie einen weiteren Leserkreis erreichen wollen, müsste sie ihr Glück bei einem Buchverlag versuchen. «Aber das ist mit viel Aufwand verbunden, und ich weiss nicht, ob ich das will», sagt Ernestine Zink. Aber sie wolle ja nicht auf einer Bestsellerliste landen, sondern es sei ihr um den Weg gegangen.

Ein «Rezept», wie man seine Gedanken zu Papier bringt, kann Ernestine Zink nicht abgeben. «Man muss einfach den Mut haben, einmal anzufangen, und Vertrauen haben, dass es sich sowieso entwickelt, wie es soll», meint sie. So hat sich beim Schreiben ihres Buches auch ein zweiter Handlungsstrang entwickelt, in dem sich die Heldin bei ihrer beruflichen Tätigkeit als Kuratorin mit Künstlern und Künstlerbiografien beschäftigt. «Ich habe einfach an einem Ende angefangen, dadurch ist ein Prozess in Gang gekommen, bei dem immer mehr Aspekte aufgetaucht sind, sodass das Buch immer grösser wurde», schildert die Liestaler Autorin.

Den roten Faden sehen

Mit Biografien beschäftigt sie sich übrigens nicht nur seit ihrem Buchprojekt, sondern auch bei ihrer Arbeit im psychologischen und maltherapeutischen Bereich. Sich mit der eigenen Biografie zu befassen und vielleicht einige Erinnerungen aufzuschreiben – oder zu malen –, empfiehlt sie allen Menschen. Sie geht davon aus, dass jeder Mensch eine eigene «Lebensmelodie» hat. Auf diese Idee ist sie gekommen durch eine Geschichte über ein afrikanisches Volk. Darin wird von einem alten Brauch berichtet, dass die Mutter bei der Geburt ihres Kindes eine Melodie empfängt. Sie singt diese dem Kind immer wieder vor. «Diese ganz eigene Melodie gilt es zu entdecken, denn damit kommen wir ganz nah an unseren Ursprung und schöpfen daraus Kraft für die Zukunft», erklärt Ernestine Zink. So könne man den «roten Faden» sehen und zur Erkenntnis kommen, dass es sinnvoll gewesen sei, wie man sein Leben gelebt habe. Das sei letztlich auch ein Aussöhnen damit, «wie es gelaufen» sei.

Weitere Infos zu «Edition Unik» sind unter www.edition-unik.ch zu finden. Die nächste Runde in Basel beginnt im August 2020.

Wer mit Ernestine Zink über diesen schöpferischen Prozess ins Gespräch kommen möchte, kann sie per E-Mail unter info@ernestine-zink.ch erreichen.

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