«Das Archiv der Gefühle»
Liestal Peter Stamm liest in der KBL
Eigentlich hätte er dem Buch den Titel «Die Geräusche des Wassers» geben wollen, verriet der Autor dem Publikum auf die Frage, wie eigentlich die endgültigen Titel gefunden würden. Die Lektorin des Verlags habe aber vermerkt, das erinnere sie an eine WC-Spülung. Klar, eine Grossstädterin kennt die verschiedenen natürlichen Geräusche von Wasser nicht wie Peter Stamm, der auf dem Land in Münsterlingen am Bodensee aufgewachsen ist und am liebsten ein Archiv für Geräusche anlegen würde.
In seinem Buch beschreibt er einen Menschen in Ich-Form, der sich nicht eigentlich getraut zu leben, sondern den Mitmenschen nur zuschaut dabei. So verpasst er es, seiner Jugendliebe Franziska, mit der er sich so gut versteht, nach einem ersten unglücklichen Liebesgeständnis als Schüler, das damals nicht erwidert wurde, spätere angebotene Gelegenheiten zu nutzen. Er lebt für ein Archiv, das er rettet aus dem Pressehaus, das ihn entlassen hat. Er baut es ein in seinen Keller und verkriecht sich seinem Haus. Dort und auf einsamen Spaziergängen dem Fluss entlang träumt er von Franziska, die ihn in Gedanken ständig begleitet – und was alles hätte sein können, wenn er den Mut gehabt hätte, anders zu handeln. Ihre Person ist leicht angelehnt an Francine Jordi, denn die Angebetete ist auch Sängerin. Nach einer Klassenzusammenkunft nach 40 Jahren, zu der Franziska nicht erscheint, getraut er sich, ihr ein E-Mail zu schreiben. Einer Einladung von ihr getraut er nicht zu folgen aus Angst, die Begegnung mit der Wirklichkeit könnte sein Traumbild von der Traumfrau zerstören. Zum Glück ist das Buch hier noch nicht zu Ende an der Stelle, an der Peter Stamm schelmisch lächelnd das Publikum fragend zurückliess in der Ungewissheit, ob es ein Happy End gibt. Wenn da nicht eine Zuhörerin gewesen wäre, die eine Andeutung machte über die Erlösung des Protagonisten aus seiner untätigen Gefühlswelt nach der 40 Jahre dauernden grossen und verstörenden Fantasieliebe.
Susanne Wäfler-Müller, die Leiterin der Kantonsbibliothek Liestal, stellte dem Literaturgast, der nun zum dritten Mal in der KBL las, einige informative Fragen. Und so vernahm man einiges über die Methode zu seiner typischen verdichteten Schreibweise mit kurzen prägnanten Sätzen. Über das Finden von Stoff für seine Bücher, die meist die Zeit beschreiben, in der er dann gerade lebt. Das beschriebene Buch spiegelt die Einsamkeit des Lockdowns und das ungelebte Leben. Stamm, der schon etliche Literaturpreise gewonnen hat, darunter den schweizerischen Buchpreis, verheisst verschmitzt, sein allerneustes Buch sei sein lustigstes und werde auch verfilmt. Die Neugier ist geweckt beim zahlreich erschienenen Publikum.