Armut wird sicht- und erlebbar

Sissach Szenischer Rundgang zum Thema Armut

Laiendarstellerinnen machten das Leben von Armutsbetroffenen sicht- und erlebbar und diese machten betroffen.
Laiendarstellerinnen machten das Leben von Armutsbetroffenen sicht- und erlebbar und diese machten betroffen.

Arm zu sein und kein Geld zu haben geht in allen Lebensphasen oft einher mit sozialer Ausgrenzung, Rückzug und Krankheit. Insbesondere Kinder in von Armut betroffenen Familien laufen Gefahr in ihrer sozialen, physischen und psychischen Entwicklung eingeschränkt und ihre zukünftigen Lebenschancen beeinträchtigt zu werden. Armut ist immer noch ein Tabu-Thema und wird als selbst verschuldet angesehen.

Die armutsbetroffenen Menschen, welche oft unverschuldet mit Einnahmen an und unter der Armutsgrenze ihren Alltag gestalten müssen, reden nicht darüber, weil die Scham grösser ist als sich als Hilfsbedürftiger zu outen. Sie versuchen unauffällig durch den Alltag zu gehen. Armut ist oft nicht auf den ersten Blick sichtbar und ist nicht gleich ein Leben unter der Brücke - Und doch gibt es sie, auch in unserer unmittelbaren Umgebung.

In diesem Sinne veranstaltete der Kirchliche Regionale Sozialdienst, die Caritas beider Basel und die Fachstelle Diakonie der Römisch-Katholischen Kirche Baselland unter dem Motto «Szenischer Rundgang enthüllt Armut» an zwei Tagen einen öffentlichen Rundgang durch Sissach, mit dem Ziel diese Armut sicht- und erlebbar zu machen.

Armutsbetroffene Menschen sind oft unsichtbar

Michael Frei, Sozialarbeiter des Kirchlichen Regionalen Sozialdienstes in Sissach, moderierte den anderthalbstündigen Rundgang, welcher die Gruppe von rund 20 Interessierten am letzten Donnerstag an fünf Schauplätze führte, wo jeweils Laiendarstellerinnen und Laiendarsteller in die Rolle von armutsbetroffenen Personen in den unterschiedlichsten Lebenslagen schlüpften. Nicht weniger als 1,3 Millionen Menschen in der Schweiz sind armutsgefährdet, wie Frei berichtete und haben damit ein deutlich tieferes Einkommen als die Gesamtbevölkerung. Im Jahr 2020 waren 722000 Menschen armutsbetroffen, Tendenz steigend. Wobei über 25 Prozent aus Scham oder aus Angst vor Stigmatisierung auf die Sozialhilfe verzichten und sie erleben dabei tagtäglich wie wenig die Gesellschaft Verständnis für ihre Probleme hat.

Viele ziehen sich darauf aus dem sozial-gesellschaftlichen Leben zurück, was zu Depressionen und Burn-outs führen kann. Diese Rückzugsbewegung sorgt dafür, dass Armut, die jeden treffen kann, unsichtbar bleibt, so Frei.

Armut macht betroffen

Mit ihren lebensechten nicht frei erfundenen Schilderungen aus dem Leben von armutsbetroffenen Personen gelang es den Darstellerinnen und Darstellern Armut nicht nur sicht- und erlebbar zu machen, sondern auch betroffen. Dann, wenn Geld für den Zug «vom Munde abgespart» wird, damit ein Besuch beim Grosskind überhaupt möglich ist. Es darf nichts Unvorhergesehenes passieren und Zahnschmerzen sind auszuhalten, da man sich den Zahnarztbesuch nicht leisten kann. Oder ein App mit einer Einladung für ein Geburtstagsfest kann Stress auslösen, weil Geld für ein Geschenk fehlt und Gemüse und Früchte schlicht zu teuer sind.

Ein Unfall mit dem Motorrad, welcher zu Arbeitsunfähigkeit führte, stellt das Leben auf den Kopf und lässt jemanden die Armut abrutschen oder sogar obdachlos werden.

Ausnahmslos lösen die Erhöhung der Krankenkassenprämie und die steigenden Energiepreise bei den armutsbetroffenen Menschen Zukunftsängste aus, wie aus den Schilderungen zu hören war. Schlimmstenfalls stünden diese bald vor der Wahl «heating or eating» – heizen oder essen.

Die hautnahe Konfrontation auf dem gelungenen Rundgang mit dem Thema Armut in seinen vielen Facetten sollte Frei zufolge ein Impuls sein noch mehr über Armut nachzudenken und die Armut zu sehen um diese zu bekämpfen. Und er wiederholte sich: «Es kann jeden treffen.»

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