Weltbekannte Komponisten «klauten» bei Raff

Wenslingen Der Kulturvermittler Ueli Gisi hat verblüffende Musikplagiate aus der Vergangenheit entdeckt  

Ueli Gisi hat nachgewiesen, dass sich Tschaikowsky, Brahms und Dvorak von Werken des Schweizer Komponisten Joachim Raff inspirieren liessen.Foto: Pier-Giuseppe Cacciatore
Ueli Gisi hat nachgewiesen, dass sich Tschaikowsky, Brahms und Dvorak von Werken des Schweizer Komponisten Joachim Raff inspirieren liessen.Foto: Pier-Giuseppe Cacciatore

Anlässlich des 200. Geburtstags des Schweizer Komponisten Joachim Raff (1822–1882) lädt Kulturvermittler Ueli Gisi zweimalig zu einem Jubiläumsabend ein (Freitag, 24. Juni, ALW, Archiv Wenslingen; Mittwoch, 29. Juni, Martinshof, Liestal).

Gisi ist es wichtig, dass dem heute eher unbekannt gewordenen Komponisten die ihm gebührende Ehre erbracht wird. Während seiner Studien zu Carl Spitteler stiess er unter anderem auch auf den in Lachen geborenen Joachim Raff. Letzterer war zwar für den Flötisten Gisi kein Unbekannter, dennoch wollte er sich in das Leben Raffs und dessen Werke einlesen. Während er sich in unzähligen Stunden sowohl schriftlich wie akustisch akribisch in die Musik Raffs vertiefte (elf Sinfonien, verschiedene Solokonzerte, Opern, Oratorien, Kammermusik und Lieder) machte er eine sensationelle Entdeckung: Joachim Raff scheint doch wahrhaftig seinen Zeitgenossen wie Johannes Brahms, Peter Tschaikowsky oder Antonin Dvorak mit Themen und Melodien angeregt bzw. sie inspiriert zu haben.

Und so kommt es, dass berühmte Passagen/Melodien zweifelsfrei den prominenten Komponisten zugeordnet werden. Verblüffend sind die akustischen Gegenüberstellungen im hauseigenen Tonstudio, mit denen Gisi dem offenbar Hörbaren ein Gesicht gibt. So verdeutlicht er zum Beispiel, wie Raffs vierter Satz der 3. Sinfonie F-Dur op. 153 «Im Walde» den russischen Komponisten Tschaikowsky als Inspiration für seine 6. Sinfonie h-Moll, op. 74 «Pathétique» diente. Ebenso ist die bekannte Melodie von Tschaikowsky mit dem Horn-Solo im zweiten Satz aus der 5. Sinfonie von Raffs drittem Satz der 10. Sinfonie «abgekupfert» worden.

Auch Antonin Dvorak liess sich von Raffs 3. Sinfonie anregen, und zwar für seine sinfonische Dichtung op. 109 «Das goldene Spinnrad» von 1896. Brahms «Selbstbedienung» zeigt sich im Vergleich mit dem Schluss vom 1. Satz der 3. Sinfonie F-Dur op. 90 von 1883 mit Raffs Schluss des 1. Satzes «Am Tage Eindrücke und Empfindungen» aus der 3. Sinfonie F-Dur op. 153 «Im Walde».

Bewusst oder unbewusst kopiert?

Unzählige solche Musiktracks hätte Gisi da noch zur Veranschaulichung auf der Liste, von denen nicht klar ist, ob die Komponisten bewusst oder unbewusst ein Plagiat begangen haben. Sie sind musikwissenschaftlich nicht beweisbar. Denn zwischen eigenständiger Schöpfung und dem unerlaubten Verwenden, was andere erdacht oder erarbeitet haben verläuft eben eine höchst verschwommene Linie.

Ueli Gisi konstatiert: «Beachtet man jedoch in der Chronik der entstandenen Werke den Kompositionszeitpunkt, wird ersichtlich, dass Raffs Tondichtungen zuerst entstanden sind.» Umso mehr soll der Schweizer Komponist gewürdigt werden, prägte er doch mit seinen Werken etliche Musikerinnen und Musiker späterer Generationen. Gisis Erkenntnisse sind nun in einen spannenden Vortrag eingeflossen. Er trägt den Titel: «Wer hat’s erfunden?» Anfang Jahr referierte er im Rahmen des Jubiläumsjahrs bei der Joachim-Raff-Gesellschaft in Lachen über die Klangwelt in Raffs Sinfonik im Vergleich zu musikalischen Vorbildern und Nachfolgern anhand von Hörbeispielen.

Dozent, Flötist, Kulturvermittler

Professor Dr. Ueli Gisi, emeritierter Biologe, war als Forscher in der Privatwirtschaft und als Dozent an der Uni Basel tätig. Er war 24 Jahre Flötist im Sinfonieorchester Gelterkinden und engagierte sich zehn Jahre als dessen Leiter. Zudem erschuf er sich im Laufe der Jahre ein eigenes Kulturzentrum in Wenslingen (ALW), wirkt als Kulturvermittler und ist Verfasser musikhistorischer Arbeiten.

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