Leuchtturm im digitalen Sturm
Zunzgen Die Dorfschule hat im Kanton eine Vorreiterrolle in der Unterrichts-Digitalisierung
Mit der Genehmigung des Landrats vom Dezember 2013 zur IT-Infrastruktur aller kantonalen Schulen wurde der digitale Wandel im Bildungsunterricht eingeleitet. Damit die Schülerinnen und Schüler auf allen Schulstufen auf die digitalisierte Arbeitswelt gut vorbereitet werden, steht im Sinne einer Vision der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD) die Vermittlung von digitaler Kompetenz im technisch und pädagogisch-didaktischen Bereich in den kommenden Jahren im Zentrum des Bildungswesens (die ObZ berichtete). Und dies nicht nur in der Sekundarschule oder im weiterführenden Unterricht. Mit dem Einsatz neuer Medien stellen sich auch neue Fragen: Soll auswendig lernen einen Sinn haben, wenn die virtuelle Technik die Antwort immer sofort bereithält? Lernt man am Tablet besser als mit dem Schulheft? Wie soll die Schulleitung mit den oft konträren Meinungen von Eltern und Lehrpersonen umgehen? Wie geht die Lehrperson mit seiner veränderten Rolle als Begleiter und Coach um?
Mit solchen Fragen setzt sich die Primarschule Zunzgen seit zwölf Jahren intensiv auseinander. Pia Graf, seit zehn Jahren Lehrerin auf der Mittelstufe in Zunzgen und Mitglied der Schulleitung, blickt zurück. «Dazumal war die Schule Zunzgen, wie die anderen Primarschulen auch, mit der Digitalisierung sich selber überlassen.» Anfänglich noch mit einzelnen Laptops ausgestattet, wurden im Verlauf der Zeit Leistungen in Form von Beratungen bei einer professionellen Firma eingekauft und konnte mit einem Wechsel von Laptops zu iPads der Digitalisierungsprozess vorangetrieben werden. Momentan verfügt jedes Kind ab zweiter Klasse über ein eigenes iPad, ab Januar 2021 voraussichtlich auch die Erstklässler, welche derzeit noch mit einem Halbklassensatz arbeiten.
Integrative Schulform
Entscheidend für den Erfolg der innovativen Entwicklung des Digitalisierungsprozesses in der Dorfschule sind die gute Zusammenarbeit zwischen dem pädagogischen ICT-Verantwortlichen und dem Schul- und Gemeinderat sowie der starke Support aus der Bevölkerung und dem Lehrpersonenteam. Pascal Koller, pädagogischer ICT-Verantwortlicher und Heilpädagoge in Zunzgen, ist im Kanton eine gefragte Fachperson, wenn es um die Unterstützung bei der Nutzung der digitalen Unterrichtsmöglichkeiten auch in anderen Primarschulen geht. «Ein Leuchtturm im digitalen Sturm», wie die Schulleitung seine besondere Stellung umschreibt. Es zeigt sich, dass es immer noch grosse Unterschiede im Bereich der Digitalisierung auf Primarstufe in den Baselbieter Gemeinden gibt. Wie in Zunzgen sind die Primarschulen bei der Finanzierung auf den Zuspruch ihrer Gemeinde angewiesen und können nicht, wie die Sekundarschulen, auf finanzielle Unterstützung vom Kanton zählen. «Hier ist die Politik gefordert, eine Lösung zu finden», sagt Pascal Koller.
Wertvolle didaktische Unterstützung
Er ist davon überzeugt, dass die digitalen Möglichkeiten im Schulalltag mit ihrem Mehrwert an technischer und pädagogischer Qualität wertvolle didaktische Unterstützung erzeugen. «Es ist wichtig, dass jedes Kind sein eigenes Gerät hat», sagt er, «sodass es seinen eigenen Lern- und Arbeitsstand zu jeder Zeit ablesen kann.» Und damit auch die Lehrperson. Die digitalen Lernprogramme können dem individuellen Lernstand der Schüler angepasst werden und motivieren damit auch schwächere Schülerinnen und Schüler in ihrem Lernprozess. «Grundsätzlich sollen die Kinder im integrativen Prozess von Konsumation zur Produktion befähigt werden», wie die Interviewpersonen das Ziel der Digitalisierung in «ihrer» Schule umschreiben und nachschieben, dass das richtige Suchen nach Wissen einen erhöhten Stellenwert hat. Mittels einer Nutzungsvereinbarung mit den Eltern, die klare Abmachungen betreffend Versicherungs-
schutz und Handhabung beinhaltet, können die Kinder ihr Gerät mit nach Hause nehmen. Zusätzlich wird das Gerät automatisch von 20 Uhr bis am nächsten Morgen 7 Uhr gesperrt. Während des Corona-bedingten Lockdowns konnte so die Schule mit Hilfe von Learningview, einer in der Schweiz entwickelten Lernplattform, und Klapp, einem Schulmessenger, sofort auf Fernunterricht umschalten und den regelmässigen Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern sowie den Eltern aufrechterhalten.
Lernfördernde Projekte
In Absprache mit der Zunzger Schulleitung und zusammen mit dem Lehrerteam wird die Digitalisierung des Unterrichts, mit lernfördernden Projekten für die Schülerinnen und Schüler, stetig weiterentwickelt. In der produktorientierten Arbeit erstellen die Schülerinnen und Schüler Lernfilme, die auf dem schuleigenen Youtube-Kanal veröffentlicht werden, schreiben Bücher, welche im Schulverlag publiziert werden, oder realisieren eigene Produkte im Rahmen eines Makerspace-Projektes. Nicht nur für die Kinder bedeutet dies eine grössere Umstellung im Schulalltag, sondern auch für die Lehrerschaft. Die traditionelle Rolle der Lehrperson als Wissensvermittler steht auf dem Prüfstand. Durch die viel grössere Individualisierung können bei jedem Kind eigene, spezifische Lernstrategien entwickelt und begleitet werden. Dazu Pascal Koller: «Dies macht die Lehrperson zum Lernbegleiter und zum Coach, der Ressourcen individuell gezielt einsetzen kann.» Der Kontakt der Schülerinnen und Schüler zur Lehrperson, der für beide unabdingbar und wichtiger denn je ist, bleibt so bestehen.
Die Schule Zunzgen – in Anspielung auf das Silicon Valley in den USA auch «Zunzgen Valley» genannt – hat in der Digitalisierung vom Unterricht auf Primarstufe eine kantonale Vorreiterrolle. Die Kinder lernen im täglichen Unterricht im Rahmen des Lehrplans 21 auf motivierende Art und Weise wichtige Anwendungskompetenzen, die ihnen während der nachfolgenden schulischen Laufbahn beziehungsweise in der Arbeitswelt hilfreich sein werden. Dabei darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Digitalisierung in den Schulklassen ein unterstützendes Mittel sein soll, um die Lernziele optimal zu erreichen, und kein Selbstzweck.