Pflanzennamen auf Mundart

«Dittiblache und Hemmliglunggi» geht bereits in die zweite Auflage 

Andres Klein ist Pflanzen-Fan und im Oberbaselbiet verankert. Foto: M. Schaffner

Nur noch wenige Leute sagen dem Löwenzahn «Weiefäcke». Oder «Weiefäckte» oder «Weierfäckte». Und noch weniger Leute wissen, woher diese Dialektwörter herkommen. Das vor knapp drei Monaten im Verlag Baselland erschienene Buch «Dittiblache und Hemmliglunggi. Mundartnamen von Wildpflanzen im Oberbaselbiet» klärt auf: «Weie» hat nichts mit «Weiher» zu tun, sondern bezeichnet den Raubvogel «Gabelwei» (Rotmilan) und «Fäcke» bezieht sich auf die Federn. Die Blätter des Löwenzahns erinnern nämlich an die Handschwingen des Rotmilans.

Das Buch ist derart auf Anklang gestossen, dass die erste Auflage schon beinahe ausverkauft ist. Im September wird es nachgedruckt. Offenbar sind Mundartnamen mit vielen Emotionen verbunden: «Man hat Selbstbewusstsein und Stolz, dass man einen eigenen Namen für eine Pflanze hat», stellt der Buch-Initiator Andres Klein fest. Sogar von Dorf zu Dorf gibt es Unterschiede, so saget man in Anwil «Hemmliglünggi» statt «Hemmliglunggi» – wobei sich das in jüngerer Zeit immer mehr vermischt, weil die Leute umziehen. Aber oft stecken noch örtliche Traditionen oder prägende Dorfcharaktere hinter den Wörtern. Andres Klein erlebte beispielsweise an einer Veranstaltung, wie sich zwei über die richtige lokale Bezeichnung einer Pflanze gestritten haben – bis heraus kam, dass sie in der Schule einen anderen Lehrer gehabt hatten.

Mundartwörter gehen immer mehr verloren

Für Andres Klein, der im Baselbiet aufgewachsen ist, Botanik studiert hat, sich im Naturschutz engagiert und sich immer schon für Pflanzen begeistert hat, ist es ganz normal, wenn er hört, dass jemand «Ramsle» anstatt «Bärlauch» sagt. Beispielsweise, wenn er Leute an einem Naturschutzanlass trifft. Einmal jedoch habe er an einer Exkursion teilgenommen, an der nur hochdeutsche Pflanzennamen verwendet worden seien. «Da dachte ich mir, du musst etwas machen, damit es nicht ganz verloren geht», erzählt Andres Klein. Wenn er jemanden frage, ob sie oder er wisse, was eine «Guggerblume» sei, dann würden das nur noch die Ältern bejahen, oder Leute, die in der Landwirtschaft arbeiten würden. (Als «Guggerblume» wird im Oberbaselbiet hauptsächlich das Schaumkraut bezeichnet. Diese Pflanze ist manchmal mit dem Schutzschaum von Zikadenlarven bedeckt, der auf Mundart «Guggerspöiz» genannt wird, also «Spucke des Kuckucks».) Das sei nicht nur mit Pflanzennamen so, sondern allgemein, sagt Andres Klein. So habe eine Befragung der Universität Bern gezeigt, dass nur noch zehn Prozent unter 30 wüssten, dass ein «Summervogel» ein Schmetterling sei.

Früher habe man eher mündlich gelernt, zum Beispiel von den Grosseltern, heute lerne man aus Bücher, aus dem Fernsehen oder über soziale Medien. «Dadurch wird alles vereinheitlicht», bemerkt Andres Klein. Auch Biologie-Bücher wie «Was blüht denn da?» hätten zum Aussterben von Mundartnamen beigetragen und die Forstingenieure hätten die deutsche Bezeichnung «Fichte» in die Schweiz getragen.

Projekt ist in der Region verankert

Mit der Idee eines Buchprojekts im Kopf suchte Andres Klein nach einer sprachwissenschaftlich versierten Person, die ihm helfen könnte, und fand diese in Mirjam Kilchmann. Die Sprachwissenschaftlerin hat unter anderem am Mundart-Wörterbuch «Schweizerisches Idiotikon» mitgearbeitet und besitzt laut Klein ein «super Sprachfeeling». Als weitere Mitarbeitende stiessen Susanne Kaufmann-Strübin dazu, die am Zentrum Ebenrain gearbeitet hatte und bestens mit den Bauern in der Region vernetzt ist, und Beat Schaffner, der für das Buch rund 180 hochwertige Fotografien zur Verfügung stellte. Der Verlag Baselland sei von dem Konzept begeistert gewesen, berichtet Andres Klein, und so sei der Finanzierung des Drucks und der Arbeit von Mirjam Kilchmann nichts mehr im Wege gestanden.

Eine wichtige Informationsquelle war ein Büchlein, das ein Leiter des Schulinternats Sommerau im Jahr 1944 geschrieben hatte. Auch in Heimatkunden wurde das Team fündig, zudem brachten die Mitarbeitenden ihr eigenes Wissen mit. Vieles erfuhren sie auch in Gesprächen mit weiteren Menschen aus der Region. Eine systematische Befragung wurde zwar nicht gemacht, denn das hätte den Rahmen des Konzepts gesprengt, erklärt Andres Klein. Die Verankerung in der Region habe aber zur Akzeptanz des Projekts beigetragen: «Ich bin mit sehr vielen Leuten verbunden, die hier leben, und habe ein grosses Beziehungsnetz.» Der pensionierte Inhaber eines Beratungsbüros im Bereich Ökologie – und Kommunikation, denn neben den Pflanzen fasziniert ihn auch die Sprache – lebt seit über 40 Jahren in Gelterkinden und war unter anderem Präsident der Waldbesitzer. Er wohne gern hier und sei ein «Fan des Oberbaselbiets», sagt er von sich selber.

700 Namen, 170 Pflanzen

Bei der Arbeit am Buch teilten sich die Autor/-innen auf: Mirjam Kilchmann erarbeitete hauptsächlich die Namen, Susanne Kaufmann verfasste die Abschnitte über die Biologie, Beat Schaffner trug die Fotos zusammen und Andres Klein schrieb die Texte über die Verwendung der Pflanzen und weiteres Wissenswertes unter dem Motto «Auch das noch». Insgesamt werden rund 170 Pflanzen im Buch behandelt, für die über 700 Namen aufgeführt werden. Viel Zeit haben die Autor/-innen auch in den Index, in das Literaturverzeichnis und die Quellenangaben gesteckt.

Für den anfangs erwähnten Löwenzahn listet das Buch 15 verschiedene Mundartnamen auf, darunter etwa «Sunnewiirpel» oder «Söiblueme». Erstaunt hat Andres Klein, der nach eigenen Worten durch die Arbeit am Buch viel dazugelernt und viele Ausdrücke zum ersten Mal gehört hat, dass es für manche seltene Pflanzen wie den Hauhechel fünf oder sechs Mundartnamen gebe, während für viele häufige Pflanzen nur der hochdeutsche Name bekannt sei. Das ist auch der Grund dafür, dass im Buch viele häufige Baselbieter Pflanzen gar nicht erwähnt sind.

Namen aus der Landwirtschaft, Heilkunde oder Kindersprache

Eine weitere Erkenntnis lautet: «Die Namen sind nicht zufällig so, sondern haben eine Beziehung zu den Leuten, zu den Berufen oder zu den Orten, wo man sie findet.» Beispielsweise heisst die Rote Heckenkirsche «Bääseryys», weil die Bauern aus ihren Zweigen noch heute Reisigbesen herstellen. So bleiben gewisse Namen erhalten, wie Andres Klein beobachtet. Viele Namen kämen aus der Landwirtschaft oder aus der Heilkunde. Das Aufrechte Fingerkraut, auch als Blutwurz oder Tormentill bekannt – oder in einigen Oberbaselbieter Dörfern als «Duurmedill» – sei im Mittelalter eine Medizinpflanze gewesen, heute kenne sie aber fast niemand mehr. In Anwil, so ist im Buch zu lesen, existiere ein Sprüchlein dazu: «Trinksch Duurmedill und Bibernäll, stirbsch nid so schnäll.»

Viele Mundartnamen stammen auch aus der Kindersprache. Andres Klein erinnert sich beispielsweise daran, wie die Kinder früher aus Löwenzahn Wasserleitungen gebaut («Pfafferöörli») oder Ketten gebastelt («Chetteneblueme») hätten. Mit den Blättern des Sumpfblättrigen Ampfers («Dittiblache» – wie im Titel des Buchs) hätten sie Puppen bekleidet und die Fruchtstände der Wilden Möhre hätten sie wegen ihres Aussehens «Vogelnäschtli» genannt.

«Genau für diese Leute habe ich das Buch geschrieben»

«Ich hatte Plausch am Arbeiten und Freude an den Reaktionen und bin froh, dass ich es gemacht habe», meint Andres Klein abschliessend. Es sei kein Botanikbuch, sondern eher ein Sprachbuch, und es sei «für die normalen Leute» gedacht. Wichtig sei ihm gewesen, dass es ein schönes Buch werde, das man gern in die Hand nehme – deshalb das hochwertige Papier, der feste Einband mit Prägedruck, die schönen Fotos und Grafiken. Kürzlich habe er einem befreundeten Paar eines schenken wollen – er sei pensionierter Förster, sie habe einen schönen Blumengarten – und da habe es geheissen: «Du kommst zu spät, wir haben schon zwei gekauft!» Darüber freut sich Andres Klein besonders: «Genau für diese Leute habe ich das Buch geschrieben!»

www.verlagbaselland.ch/aktuell/neu-erschienen-dittiblache-hemmliglunggi

Weitere Artikel zu «Oberbaselbiet», die sie interessieren könnten

Oberbaselbiet04.09.2024

Naturpark der Gemeinden für die Gemeinden

Heisse Phase 56 Gemeinden sind aufgefordert, an ihrer Herbstversammlung über den Naturpark Baselbiet abzustimmen  
Oberbaselbiet04.09.2024

Die beliebteste Frucht

61 Veranstaltungen Baselbieter Genusswoche stellt den Apfel in den Mittelpunkt  
Oberbaselbiet04.09.2024

Bäume, Wurzeln, Gemüse und Obst

Ebenraintag Das vielfältige Angebot lockte am Sonntag Tausende nach Sissach