Komplex, aber wichtig

Zweite Säule Streitgespräch zur BVG-Reform in Liestal

Toni Carrese moderierte das Podium mit Saskia Schenker, Elisabeth Schneider-Schneiter, Gabriela Medici und Samira Marti (v. l.).Foto: M. Schaffner

Es war eine ziemlich seltene Gelegenheit, die sich vergangenen Freitag allen an der BVG-Reform Interessierten im Oberbaselbiet bot. Die Mitte Oberes Baselbiet hatte zu einem Pro-und-contra-Podium eingeladen, auf der einen Seite Elisabeth Schneider-Schneiter (Nationalrätin Die Mitte) und Saskia Schenker (Landrätin FDP, Direktorin Arbeitgeberverband Region Basel), auf der anderen Seite Samira Marti (Nationalrätin SP) und Gabriela Medici (Gewerkschaftsbund). Piero Grumelli, Präsident Die Mitte Oberes Baselbiet, zollte ihnen seinen Respekt: «Es wir immer schwieriger, seine Meinung zu äussern, weil man dann von der anderen Seite gefressen wird.»

Im Liestaler Guggenheim waren zwar nur noch wenige Plätze frei, aber eigentlich hätte der Saal zum Bersten gefüllt sein müssen, wie die Organisatoren meinten. Trotzdem können sie zufrieden sein. Wie bereits bei ihrem letzten Anlass, damals zur AHV-Abstimmung in Sissach, konnten sie zumindest ein bisschen Licht ins Dunkel bringen.

Moderator erfüllte seine schwierige Rolle mit Bravour

Das Podium legte nach den einleitenden Worten einen ungewohnt steilen Start hin. Schon in den ersten Voten zeigten sich die Podiumssprecherinnen angriffig und teilten aus. «Da muss ich reagieren», «Das stimmt einfach nicht», «Ich bin erschüttert», «Das kann ich nicht so stehen lassen», hagelte es von beiden Seiten. Moderator Toni Carrese (Die Mitte), der dazwischen sass, war stark gefordert. Doch er meisterte seine Aufgabe souverän, klemmte ab, wenn eine Sprecherin zu langatmig wurde, fiel auch mal ins Wort, wenn es verständnismässig etwas zu klären gab, und fasste immer wieder den Stand der Diskussion zusammen. Selber Pensionsexperte, war er inhaltlich sattelfest, ging aber ganz unparteiisch in das Streitgespräch – als Beweis präsentierte er dem Publikum sogar seinen noch leeren Stimmzettel.

Und er hatte zwei weitere Pensionskassenexperten eingeladen, die hie und da einen fachlichen Input gaben. Einer von ihnen bekannte an einer Stelle allerdings, dass er kein Befürworter der BVG-Reform war, und zwar aus einem bestimmten Grund: «Ich bin dafür, das BVG weiter zu stärken, und wenn man will, dass sich die Leute dafür interessieren, müssen wir die elende Komplexität reduzieren!» Mehrere Gäste im Publikum, die sich in der ganzen Thematik etwas ratlos fühlten, goutierten diese Aussage ausdrücklich.

Tatsächlich war die erste Hälfte der Podiumsdiskussion ziemlich technisch. Es dauerte eine Weile, bis sich die jeweils schlagenden Argumente der Pro- und Contra-Seite deutlich abzeichneten. Als Zwischenstand – etwa in der Hälfte der Podiumsdiskussion – fasste Toni Carrese drei Kernthemen der Reform zusammen: die Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0 Prozent, die Regelung für die Übergangsgeneration und den Koordinationsabzug.

Kein besserer Kompromiss möglich, oder doch?

Zunächst hatte Gabriela Medici erläutert, warum wir überhaupt über die Reform abstimmen. Die Sozialpartner hätten sich auf eine Lösung geeinigt, aber das Parlament habe diese zerpflückt. Für Elisabeth Schneider-Schneiter steht hingegen fest: «Wir kriegen keinen besseren Kompromiss heran, wir können nicht alle abholen!» Saskia Schenker führte aus, wer betroffen sei und wer nicht. Beispielsweise decke die Regelung für Übergangsbetroffene sogar mehr Leute ab, als von der Reform betroffen wären. «Ihr sucht konstruierte Einzelfälle und suggeriert der Bevölkerung, es wäre die Mehrheit», warf sie den «Neinsagerinnen» entgegen.

Schenker und Schneider-Schneiter priesen als grossen Vorteil an, dass die Reform durch die Senkung der Eintrittsschwelle ganz vielen Menschen, insbesondere Frauen, die Teilhabe an der obligatorischen Rentenversicherung ermögliche. Elisabeth Schneider-Schneiter konnte nicht verstehen, wie man dagegen sein könne.

«Wollen wir eine Reform, ja oder nein?», brachte es Saskia Schenker auf den Punkt. Die letzte sei 20 Jahre her, und in weiteren 20 Jahren würden sich unsere Lebensumstände wiederum stark verändern, deshalb wäre es schade, wenn wir es jetzt nicht schaffen würden. Samira Marti konterte: «Wir können auch sagen, ja, wir wollen eine Reform, aber nicht diese!» Wenn sie abgelehnt werde, würden sich die Politiker/-innen wieder an den Tisch setzen und die umstrittenen Punkte wieder aufnehmen, das sei nun mal Demokratie.

Medici und Marti betonten vor allem die Senkung des Umwandlungssatzes. Diese betreffe Leute, «die ihr ganzes Leben gearbeitet haben», und kurz vor der Rente sage man ihnen: «Sorry, nichts gewesen!» Die Renten sänken, die Beiträge stiegen, und dies, obwohl alles immer teurer werde.

Real nicht mehr Franken: zweite Säule wird von EL abgezogen

Samira Marti hatte besonders die Frauen mit niedrigem Arbeitspensum im Blick: «Du zahlst mehr ein, aber hast real nicht mehr.» Jede siebte Frau im Rentenalter beziehe nämlich Ergänzungsleistungen. Was sie aus der zweiten Säule erhalte, werde einfach bei den EL gekürzt. «Ja, es ist ein schönes Lebensgefühl, weniger von den EL abhängig zu sein, aber am Schluss geht es um den Franken», so Samira Marti.

Das Argument von Elisabeth Schneider-Schneiter, dass man sich doch nicht auf den Sozialstaat verlassen könne, sondern versuchen müsse, «dass diese Frauen selber für sich sorgen können», liess Samira Marti nicht gelten. Man könne nicht Frauen in den Arbeitsmarkt drücken, indem man ihnen sage, sie müssen jetzt für die zweite Säule sparen. Es gebe so viele andere Möglichkeiten, Frauen in den Arbeitsmarkt zu bekommen.

Ob sich die Gäste im Publikum nun entschieden haben, ob sie für oder gegen die Reform sind? Piero Grumelli ist jedenfalls überzeugt, dass sich die Podiumsdiskussion gelohnt hat, wenn dadurch schon nur der eine oder die andere abstimmen geht, der oder die es sonst nicht tun würde.

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