Von Menschenzoos und Schweizer Söldnern

Liestal Die Installation «Nachdenken über das koloniale Erbe» kommt im September und Oktober nach Liestal  

Die im Wind wehenden schwarzen Kleidungsstücke ziehen die Blicke auf sich; in der zweiten Zeile werden die Verstrickungen der Schweiz in Sklaverei und Kolonialismus thematisiert; zuunterst sind Reaktionen von Besucher/-innen, Presse und Politik zu lesen. Die Kunstinstallation von Cilgia Rageth wurde bereits an 47 Standorten gezeigt (im Bild der Kasinopark Aarau), vom 20. September bis 10. Oktober gastiert sie bei der Stadtkirche Liestal, wo am 20. September von 18 bis 19 Uhr eine Rahmenveranstaltung stattfindet. Foto: zVg

Die schwarze Chirurgin, die auf dem Spitalflur für eine Reinigungsangestellte gehalten und gefragt wird, wo sie denn ihren Putzkübel habe. Der nichtschweizerische Zugpassagier, der vom Billettkontrolleur darauf hingewiesen wird, dass hier die erste Klasse sei, weil dieser automatisch annimmt, dass er nur ein Zweite-Klasse-Billett hat. Solche Rassismuserfahrungen machen Betroffene tagtäglich, auch in der Schweiz, auch im Baselbiet.

Diese Fälle haben nicht nur einen individuellen Aspekt, sondern auch einen gesellschaftlichen. In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff «struktureller Rassismus» verwendet. Für die Künstlerin Cilgia Rageth handelt es sich um «eine Gesinnung, die in uns verankert ist» – und die bis in die Kolonialzeit zurückgeht. Mit ihrer Kunst-Installation «Nachdenken über das koloniale Erbe» will sie das Bewusstsein dafür schärfen. Bereits an 47 Standorten wurde das Projekt gezeigt, nun ist es vom 20. September bis 10. Oktober bei der Stadtkirche Liestal zu sehen.

Schweiz ins Gefüge der Kolonialmächte eingebunden

Das Originelle an der Ausstellung ist, dass sie zwei eher unbekannte Themen aus der Schweizer Geschichte miteinander verknüpft und mit Kolonialismus in Beziehung setzt: das Söldnerwesen und die «Menschenzoos». Obwohl die Schweiz ja bekanntlich keine Kolonien besass, war sie wirtschaftlich ins Gefüge der Kolonialmächte eingebunden, wie Cilgia Rageth erklärt: «Söldnerdienste waren ein zentraler Faktor in der Handelspolitik und ein ‹Exportschlager› des armen Berglands, unser Eintrittsticket in die weite Welt.»

Cilgia Rageth ist in Bern aufgewachsen, aber in Graubünden heimatberechtigt. Ihr Vater hatte zu den Bündner Söldnern geforscht, und als Künstlerin trug sie sich jahrelang mit dem Gedanken, dieser Thematik eine Arbeit zu widmen. 2005 wurde sie auf die sogenannten «Menschenzoos» oder «Völkerschauen» aufmerksam, die Projektidee kam ihr aber erst 2019, seit da arbeitet sie an der Realisierung. «Als mir bewusst wurde, dass Tausende Menschen Eintritt zahlten, um diese Menschenzoos zu sehen, und dass das als völlig normal angesehen wurde, war mir klar, wie stark diese koloniale Gesinnung in uns verankert war», erläutert sie. Mit den Söldnern, die die Schweiz gestellt hat, ist sie in die kolonialen Mächte einbezogen worden. Von diesem Eingebundensein sieht Cilgia Rageth eine direkte Linie zu einem Denken, das «Nicht-Weisse» für minderwertig hält, was zum entsprechenden Handeln und Empfinden geführt habe. Und diese Gesinnungen sind immer noch in uns drin, betont Rageth: «Wenn wir uns diese nicht bewusst machen, geht es immer so weiter.»

Die partizipative Kunst-Installation lädt die Besucher/-innen deshalb dazu ein, sich die Frage zu stellen, was für rassistische Verhaltensmuster wir in uns tragen. Der Charakter der Ausstellung sei bewusst nicht anklagend, sondern wirklich eine Einladung, unterstreicht die Künstlerin.

So besteht ein wichtiger Teil des Projekts darin, dass die Besucher/-innen ihre Reaktionen mitteilen können, sei es per E-Mail oder direkt im Gespräch mit Freiwilligen, die zu gewissen Zeiten anwesend sind. An den nachfolgenden Standorten werden die Publikumsreaktionen der vorherigen Standorte in die Installation einbezogen, zusammen mit Presseartikeln und den jeweiligen politischen Gemeindestimmen. Cilgia Rageth will damit Brücken schlagen, von Betroffenen und akademischen Kreisen, wo Kolonialismus diskutiert wird, in die Bevölkerung hinein.

Die Publikumsreaktionen werden in der untersten Ebene der Installation präsentiert, darüber werden Ausschnitte der Geschichte des Söldnerwesens und der Menschenzoos erzählt und zuoberst flattern schwarz eingefärbte Kleidungsstücke im Wind, wie sie die Versklavten bei ihrer Deportation in Weiss getragen hatten.

Die gesammelten Reaktionen reichen von neutralen Beobachtungen – beispielsweise, dass schwarze Komponist/-innen kaum je an Konzerten gespielt werden und schwarze Musik auf Gospel reduziert wird – über Emotionen – beispielsweise ein schlechtes Gewissen, weil jemand mitbekam, wie ein rassistischer Witz erzählt wurde und nichts dagegen sagte – bis zu persönlichen Reflexionen – beispielsweise über die unbegründete Angst einer Frau vor schwarzen Männern. Auch paternalistische Reaktionen seien dabei, stellt Cilgia Rageth fest, und natürlich viele Erlebnisse von Rassismus-Betroffenen. Die allerhäufigste Reaktion, besonders in Bezug auf die Menschenzoos, sei jedoch: «Jesses Gott, davon wusste ich gar nichts!» Gerade in ländlichen Gebieten sei das Thema noch nicht so «angekommen». «Und genau dort haben wir so tolle Erfolge gehabt mit Menschen, die sich zum ersten Mal auf das Thema einlassen», teilt Cilgia Rageth mit.

Mittlerweile hat sie für ihre Installation auch Anfragen aus Deutschland und Österreich erhalten. Im sechsten Jahr und nach bald 50 Standorten ist das Projekt jedoch für sie abgeschlossen. Sie fände es zwar schön, wenn die Installation entlang der Menschenzoo-Routen weitergehen könnte bis zum Ursprungsort: Hamburger Zoo – aber das müssten andere übernehmen.

Zunächst geht sie aber ab dem 20. September nach Liestal. Am 20. September gibt es eine Rahmenveranstaltung, die Begrüssung wird eine Person aus der Gemeinde machen, Pfarrer Andreas Stooss wird eine Ansprache halten und voraussichtlich wird der Martinochor diese besinnliche Veranstaltung musikalisch begleiten. Ob Liestal im Vergleich zu den anderen Standorten eher zu den ländlicheren oder den urbaneren gehört, kann Cilgia Rageth nicht voraussagen, da sie Liestal nicht besonders gut kenne, sie vermute aber, dass die Thematik aufgrund der Nähe zu Basel nicht ganz unbekannt sei.

Weitere Infos:

cilgiaragethkunst.ch/installation

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