Von Ingenieurtechnik zur Naturwissenschaft

Unternehmertreff PFAS, Schwammstadt und ARA: die Liestaler Holinger AG arbeitet an Projekten in 20 Ländern rund um den Wasserkreislauf

Urs Bachmann, Helvetia, Koordinator Unternehmertreff HKBB; Stefanie Hofer, HKBB; Claudia Scherrer, Holinger AG, Leiterin Administration Liestal; Rolf A. Gartmann, Holinger AG, Regionalleiter Nordwestschweiz (v. l.). Foto: zVg

Als Eduard Holinger 1933 sein Ingenieurbüro in Liestal eröffnete, umfasste der Tätigkeitsbereich vor allem Abwasser und Siedlungsentwässerung. Die heutige Holinger AG ist bedeutend vielseitiger unterwegs: Kläranlagen, Trinkwasseraufbereitung, Autobahnentwässerung, Ufersanierung, Hochwasserschutz, Altlastensanierung oder Umweltverträglichkeitsprüfungen gehören zum Angebotsportfolio. Der Wasserkreislauf ist immer noch das Kernthema, aber die Herangehensweise ist interdisziplinär und bewegt sich zwischen Ingenieurtechnik und Naturwissenschaft, zwischen Bau, Energie und Umwelt.

Letzte Woche war der Unternehmertreff Liestal der Handelskammer beider Basel (HKBB) bei der Holinger AG zu Gast. Anhand von drei sehr unterschiedlichen Beispielen veranschaulichte die Liestaler Firma, womit sie sich in der Praxis unter anderem beschäftigt: PFAS, Schwammstadt und Abwasserreinigungsanlagen (ARA).

Die «ewige Chemikalie» PFAS ist auch bei uns ein Problem

Die Abkürzung PFAS bezeichnet eine Gruppe von Stoffen, die in der Industrie sehr vielfältig verwendet werden kann, weil sie schmutz- und wasserabweisend und temperaturbeständig sind. Unter anderem in Teflonpfannen, Regenbekleidung, Skiwachs oder Feuerlöschschaum kommen sie zum Einsatz. Sie sind jedoch fast nicht abbaubar, weshalb PFAS auch «die ewige Chemikalie» genannt wird. PFAS ist giftig für Mensch und Umwelt und verbreitet sich auf der ganzen Erde, kontaminiert das Grundwasser, bleibt in der Nahrung hängen und akkumuliert sich im Körper. PFAS existieren seit den 1950ern und wurden ab den 1970ern breit eingesetzt. «Schlagzeilen zur Toxizität und eine mediale Aufbereitung gibt es aber erst seit ein paar Jahren», sagte Andreas Arnold, Geschäftsbereichsleiter Umwelt in Liestal. Die ganze «Verbots- und Ersatzprodukt-Geschichte» komme erst langsam ins Rollen.

Die Holinger AG arbeitet bei der Bewältigung der PFAS-Problematik an vorderster Front mit, indem sie PFAS-Beurteilungen bei Bauprojekten durchführt. Besonders prekär ist die Situation an gewissen Betriebsstandorten, etwa in der Galvanik- oder Halbleiter-Industrie, bei Deponien ab 1970 oder bei Brandübungsplätzen. Oft bleibt nur, den Boden auszuheben und zu waschen.

Schwammstadt schützt vor Hitze und Überflutung

Was es mit dem Konzept «Schwammstadt» auf sich hat, erläuterte Vera Wyrsch, Fachbereichsleiterin Siedlungsentwässerung in Basel. Es gehe darum, ein Siedlungsgebiet so zu gestalten, dass Niederschläge möglichst zurückbehalten und dann kontrolliert wieder abgegeben werden. Der Siedlungsbau mit vielen befestigten Flächen führt dazu, dass das Wasser oberflächlich abfliesst, was einerseits Überflutungen verursachen kann, andererseits für Hitze in den Städten sorgt, weil die kühlende Verdunstung durch die Vegetation fehlt.

Mit dem Klimawandel nähmen Niederschläge zu, fuhr Vera Wyrsch fort. Natürlich könnten einfach die Kanalsysteme ausgebaut werden, aber das wäre nicht nachhaltig. Mit dem Konzept der Schwammstadt, also einer Begrünung und Entsiegelung des Siedlungsraumes, ergäben sich andere Möglichkeiten. «Wir schauen Gebäude, Plätze und Strassen an und versuchen, bereits bei der Planung anders zu denken», berichtete Vera Wyrsch. Beispielsweise berät die Holinger AG Gemeinden, wenn diese ein Quartier planen. Massnahmen können beispielsweise ein unbefestigtes Trottoir, versickerungsfähige Parkplätze oder eine Dachbegrünung sein – wobei Letztere durchaus mit Photovoltaik vereinbar ist, wenn sie richtig geplant wird.

ARA Basel wird mit neusten 3D-Tools geplant

Zum Schluss erzählte Martin Anderson, Geschäftsbereichsleiter Abwassertechnik in Liestal, über die Sanierung und Erweiterung der ARA Basel. 2014 hatte die Holinger AG den Auftrag als Gesamtplanerin gewonnen, 2019 war Spatenstich und 2026 soll alles abgeschlossen sein. Im Vergleich zur früheren Anlage, die 1981 eingeweiht worden war, erbringt die erweiterte ARA einige Zusatzleistungen. So kann die Stickstoffentnahme von 30 auf 75 Prozent erhöht werden. Für Mikroverunreini-gungen, etwa mit Pharmazeutika, Fungizide oder Farbreste, wird eine zusätzliche Stufe eingebaut. Und während die ARA früher sehr viel Energie verbrauchte, wird sie künftig eher zum Energie-Produzent: Mit der geplanten Wärmerückgewinnung könnten schätzungsweise 9000 Haushalte geheizt werden und mit Photovoltaik kann die ARA acht Prozent ihres Strombedarfs decken. Ausserdem soll aus dem Klärschlamm Biogas gewonnen und ins Gasnetz eingespiesen werden. Zudem ist angedacht, zukünftig Bioabfälle aus Haushalten anzunehmen, aus welchen dann ebenfalls Biogas produziert werden könnte.

Bei der Planung werden laut Martin Anderson neuste Tools angewandt. Die Pläne werden als 3D-Modell erstellt, in das beliebig hinein gezoomt werden kann. Es dient nicht nur den Handwerkern als Vorlage beim Bau, sondern es können auch Informationen für Planung, Wartung und Betrieb hinterlegt werden, die somit allen Beteiligten zur Verfügung stehen. «Die Zukunft der Infrastruktur wird in diese Richtung gehen», ist Martin Anderson überzeugt.

Unternehmen zu hundert Prozent in eigener Hand

Das Unternehmen hat sich in den bald hundert Jahren seines Bestehens nicht nur diversifiziert, es ist auch stark gewachsen, besonders in den letzten Jahren. Dies sei nicht organisch, sondern durch Zukäufe von passenden Firmen geschehen, wie Rolf A. Gartmann, Regionalleiter Nordwestschweiz, erklärte. Heute zählt die Holinger AG über 600 Mitarbeitende an 30 Standorten in der Schweiz, Deutschland und Luxemburg, mit Liestal als Hauptsitz, und entwickelt jährlich rund 2000 Projekte in 20 Ländern. Der Umsatz belief sich letztes Jahr auf 82 Millionen Franken.

Speziell ist, dass die Firma den Mitarbeitenden gehört, die die Möglichkeit haben, Aktien zu erwerben. «Wir gehören nicht irgendjemandem und wissen nicht, was morgen passiert», betonte Rolf A. Gartmann. «Sondern wir haben es selber in der Hand, weil die Aktien zu hundert Prozent uns Mitarbeitenden gehören.»

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