Lieschtler Fasnecht einst...
...und hoffentlich in Zukunft wieder!
Fasnecht: eines der grössten jährlich wiederkehrenden Volksfeste in Liestal. Durch die Pandemie sind – wahrscheinlich nicht nur bei mir – Entzugserscheinungen entstanden, denn eine derart lange Zeit ohne Fasnecht wäre vor noch nicht allzu langer Zeit einfach undenkbar gewesen. Tatsache ist aber, dass wir uns nach einer langen Durststrecke in diesem Jahr wenigstens wieder auf eine Mini-Fasnecht freuen dürfen. Hoffentlich geht dann die Fasnecht 2023 wieder mit vollem Programm über die Bühne.
Doch was hat die Zeit des Verzichtes mit uns gemacht? Wie soll das Brauchtum (nicht nur die Fasnecht) wieder aktiviert werden? Wer hat überhaupt noch Lust? Wie können die Jugendlichen begeistert werden? Fragen über Fragen. Antworten werden erst in Zukunft vorliegen. Mit meinen Ausführungen möchte ich einen Beitrag dazu leisten, damit die Fasnecht nicht in Vergessenheit gerät und in Zukunft wieder in alter Frische zelebriert werden kann, denn Brauchtum ist in der Gesellschaft tief verwurzelt und ist ein wichtiger Bestandteil in unserem Zusammenleben.
Wie wird das Brauchtum gedeutet?
Bräuche können nur überleben, wenn sie sich immer wieder den aktuellen Gegebenheiten anpassen. Das zeigt die Geschichte über die Liestaler Fasnecht eindrücklich. Eines war bereits früher und ist auch heute extrem wichtig, nämlich das Gemeinschaftserlebnis. Ein Brauch ist nämlich etwas, das sich innerhalb einer Gemeinschaft entwickelt hat und das in regelmässig wiederkehrenden Ritualen durchgeführt wird. Bräuche sind Ausdruck von Traditionen. Sie dienen auch ihrer Erhaltung und Weitergabe an nächste Generationen.
Der Ursprung der Fasnechtsbräuche liegt weit zurück. Bei diesem Brauchtum sind die verschiedenartigen Elemente zusammenverschmolzen; sie enthalten Reste altheidnischer, germanischer und römischer Frühlingsbräuche, kirchlicher Kulthandlungen, aber auch Elemente aus Zunft- und Handwerksfesten.
Entwicklung der Liestaler Fasnecht in den letzten rund 200 Jahren
Bezüglich Fasnecht stand Liestal immer etwas im Schatten der Basler Fasnacht, doch zeigt ein Blick zurück, dass hier immer Elemente vorhanden waren oder auch noch sind, welche in Basel nicht zum Tragen kommen. Damit meine ich vor allem die Feuerbräuche.
Strassenfasnechtsumzüge gibt es in Liestal schon sehr lange. Bereits um 1830 herum, also zur Zeit der Trennungswirren, haben sich in Liestal Leute zusammengefunden, um eine Strassenfasnecht zu organisieren. Diese fanden zwar in unregelmässigen Abständen statt, waren aber teilweise bereits beachtlich. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich sogar ein Fasnechts- oder Narrenkomitee Narrhalla gebildet, welches Umzüge am Montagnachmittag zeigte und oft am Mittwochnachmittag wiederholte. Diese Umzüge hatten einen ganz anderen Charakter als heute und zeigten viele Ähnlichkeiten mit dem rheinischen Karneval. So traten z.B. oft Prinz und Prinzessin Karneval auf. Eine Abkehr zeigte sich erst um die Zeit des 1. Weltkrieges. Dann begann die Fasnecht bei uns ein eigenständiges Bild zu entwickeln.
Erst Anfang der 1930er-Jahre hören wir wieder von – wenn auch bescheidenen – Umzügen. Eine Ausnahme bildete das Jahr 1924, wo eine neu gegründete Fasnechtsgesellschaft eine Art Blumenkorso auf die Beine stellte, bestaunt von einer riesigen Menschenmenge. Der Zweite Weltkrieg führte dazu, dass die Fasnecht praktisch nicht mehr stattfand. Erst 1951 feierte Liestal die Fasnecht wieder mit einem Umzug. Die grosse Wende kam aber 1955 mit der Gründung des heutigen Fasnechtskomitees, welches 1956 die Organisation des Umzuges am Sonntag an die Hand nahm und gleichzeitig zur Deckung der Unkosten auch eine Plakette herausgab. Das damals beschlossene Konzept für die Liestaler Strassenfasnecht funktioniert bis heute bestens, und dieser Anlass hat eine kaum erwartete Dimension angenommen.
Wenn ich bis heute schreibe, so meine ich natürlich bis 2019, denn wegen der Coronapandemie findet nun schon zum 3.Mal hintereinander keine normale Fasnecht statt.
Neben der Strassenfasnecht wurden in Liestal auch andere fasnächtliche Veranstaltungen abgehalten. So wird bereits 1864 ein Morgenstreich erwähnt, welcher in späteren Jahren teilweise ein beachtliches Ausmass angenommen hatte. Er fand jeweils am Montagmorgen um 5 Uhr statt und war damals auch der Beginn der Liestaler Fasnecht, denn die Chienbäse- und Fackelumzüge wurden ausserhalb der eigentlichen Fasnecht organisiert. Seit den 1970er-Jahren ist der Morgenstreich in Liestal kein Thema mehr. Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass seit der Neuzeit die grössten Liestaler Fasnechtsanlässe am Sonntag über die Bühne resp. durch die Strassen gehen.
Auch die grossen Maskenbälle, welche bei früheren Generationen ein «Muss» waren, sind schon lange Geschichte. Dabei kann in einschlägigen Schriften nachgelesen werden, dass z.B. schon 1834 Bälle veranstaltet wurden, wobei die Verheirateten und Ledigen «in besondere Parthien im Stab und im Schlüssel theilten». Im zweiten Teil des 19. Jahrhunderts und im ersten Teil des 20. Jahrhunderts waren die Maskenbälle die Grundpfeiler der Liestaler Fasnecht. Heute sind auch diese fasnächtlichen Veranstaltungen Geschichte.
Feuerbräuche
Einmalig und unbestrittener Höhepunkt unserer Fasnecht ist der Chienbäse-Umzug. Schon vor Hunderten von Jahren wurden Höhenfeuer angezündet (in Liestal auf der Weissen Fluh und auf der Burg). Dort entzündete die Jugend ihre Fackeln und Chienbäse und trug sie ins dunkle Tal hinab. Der erste Zug der Chienbäse und Pechfackeln durch die Altstadt wurde 1903 bewilligt, nachdem der Jugendfestverein die Aufsicht darüber übernommen hatte. Die ersten Chienbäse in der heutigen Form wurden erstmals 1924 durch die Gassen getragen. Die Feuerwagen sind eine neuere Erfindung, die 1948 aus Sicherheitsgründen verboten wurden. Als aber die Liestaler am Eidgenössischen Trachtenfest von 1961 in Basel neben Chienbäse auch Feuerwagen mitführten, waren der Eindruck und die Bewunderung derart gross, dass in der Folge das Feuerwagenverbot aufgehoben wurde. Seither bilden diese Wagen die grosse Attraktion.
Während einer gewissen Zeit war in Liestal noch ein weiterer Feuerbrauch zu bewundern, nämlich das Schybliwärfe (das Scheibenschlagen) auf der Burg. 1948 wurde dieser Brauch, der allerdings vorher hier nie heimisch war, durch Lehrer Theodor Strübin ins Leben gerufen. Nach der letztmaligen Durchführung im Jahre 1968 verschwand dieser «Brauchimport» wieder.
Wie weiter mit der Liestaler Fasnecht?
Der lange Unterbruch der Fasnecht hat bestimmt seine Spuren hinterlassen. Das stelle ich bei mir selber fest, denn nach den vielen Entbehrungen ist das Feuer nicht erloschen, aber hat sich auf eine Art Sparflamme zurückgebildet. Man muss sich bestimmt dazu motivieren, die Fasnecht künftig wieder in gewohntem Rahmen zu zelebrieren. Es wird bestimmt auch Cliquen geben, welche diesen langen Unterbruch nicht überleben. Ein Neustart ist aber auch immer wieder eine Chance, Neues auszuprobieren, und so bin ich zuversichtlich, dass die Liestaler Fasnecht auch künftig weiterleben wird.
Was aber unbestritten im Vordergrund steht, ist die Pflege des Fasnechtsnachwuchses. Es gibt viele Kinder, welchen in den letzten zwei Jahren und jetzt auch dieses Jahr wieder der Einstieg in dieses tolle Brauchtum verwehrt wurde. Sie hatten sich enorm darauf gefreut, erstmals auf einem Wagen mitzufahren, bei einer Clique oder Guggenmusik mitzulaufen oder einen Chienbäse durch die verdunkelte Altstadt zu tragen. Hier müssen wir «Alten» alle Kraft darauf verwenden, damit das Feuer bezüglich Fasnecht nicht erlöscht, sondern dass auch künftige Generationen – wie wir es in den vergangenen Jahrzehnten durften – diese tollen Gemeinschaftsanlässe erleben dürfen.