Feinarbeit lässt Buchstaben erstrahlen
Bernadette Brutschin haucht der alten Kunst der Buchmalerei neues Leben ein
In den Schreibstuben der mittelalterlichen Klöster waren die Mönche manchmal zu Dutzenden damit beschäftigt, Buchtexte zu kopieren. Für den grossen verzierten Anfangsbuchstaben eines Kapitels waren jedoch spezielle Künstler zuständig. Mit Farbe, mit verschnörkelten Linien, Rändern, Figuren und Ornamenten in und um den Buchstaben, oft auch mit Blattgold, brachten sie die Bücher zum Strahlen. Ihre Kunst nennt man darum «Illumination», oder, etwas schlichter ausgedrückt, «Buchmalerei».
Diese Tradition, die in dieser Form ums Jahr 600 n. Chr. aufkam, lässt eine Liestaler Künstlerin wieder aufleben. Bernadette Brutschin hat sich nach ihrer Ausbildung an der Assenza-Malschule mit Schichttechnik und abstrakter Malerei mit Acrylfarben beschäftigt, bis sie sich mit der Zeit für Ikonenmalerei zu interessieren begann. Peter Graf vom Antiquariat «Poetenäscht» in Liestal hob ihr alle Bildbände mit Ikonen auf, die er finden konnte. Doch eines Tages zeigte er ihr etwas anderes: einen dicken Band mit Faksimile-Drucken von Buchilluminationen aus dem Kloster St. Gallen. Obwohl das nummerierte antiquarische Buch einen dreistelligen Betrag kostete, musste es Bernadette Brutschin einfach haben, so fasziniert war sie von den prächtigen Buchstaben.
Mit viel Experimentieren eignete sie sich die Technik an, um die filigranen Kunstwerke selber aufs Papier zu bringen. Unterstützt wurde sie dabei von ihrem Mann Urs Brutschin, der neben seinem historischen Interesse auch versiert im Umgang mit dem Computer ist. Er half dabei, die Vorlagen zu scannen, setzte am Computer Umrahmungen zusammen, druckte durchgepauste Buchstaben in der richtigen Grösse aus und setzte die dazugehörigen Sprüche – meist Psalmen oder andere Bibelverse – in Unzialschrift.
«Wir ergänzen uns in jeder Beziehung», sagt Bernadette Brutschin über ihren Mann. Beide investieren Stunden in die Buchmalerei: Bis eine schwarzweisse Vorlage entsteht, sind bis zu zehn Stunden nötig. Bis die Umrisse ausgefüllt sind, vergeht nochmals so viel Zeit oder mehr. «Die Buchmalerei fasziniert mich, weil sie viel Disziplin verlangt und eine sichere Hand», erklärt Bernadette Brutschin.
Besonders viel Geduld und Exaktheit ist beim Vergolden gefragt. In ihrem Atelier, das abgedunkelt ist, um eine ideale Lichtsituation zu schaffen, malt Bernadette Brutschin die Schnörkellinien und Buchstaben mit der sogenannten «Vergoldermilch» aus. Anschliessend drückt sie einen Bogen mit Blattgold auf das Bild, und an den bemalten Stellen bleibt das Gold haften. Die Reste werden weggewischt und für spätere Verwendung in einem Glas aufgehoben, denn sie sind zu kostbar, um weggeworfen zu werden.
Wenn Bernadette Brutschin den feinen Pinsel, der nur aus wenigen Härchen besteht, in die Hand nimmt, dann wirkt sie konzentriert, aber nicht angespannt, sondern eher gelassen. Trotzdem darf sie sich keinen Fehler leisten: «Man darf nicht über den schwarzen Rand hinaus kommen, sonst ist das ganze Bild verdorben.»
Am liebsten arbeitet sie um zwei Uhr in der Nacht, wenn es dunkel ist und sie durch nichts abgelenkt wird. Die Arbeit, so aufwendig sie ist, hat für sie eine entspannende Qualität. Schon als Kind habe sie stundenlang Globi-Bücher ausgemalt. «Ich empfehle jedem, der Stress hat, etwas schön auszumalen», sagt die Künstlerin. Wenn es ihr nicht gutgehe, setze sie sich hin und male oder vergolde, dann vergesse sie alles.
Mehr als eine Reproduktion
Bernadette und Urs Brutschin wehren sich aber gegen die Auffassung, dass die Buchmalerei «nur» eine Reproduktion sei, «nur» ein Ausmalen. Die Buchstaben sind zwar von historischen Originalen übernommen, aber bis schon nur eine Strichzeichnung davon vorliegt, ist viel Arbeit nötig. Beim Bemalen erbringt Bernadette Brutschin eine individuelle künstlerische Leistung, indem sie die Farben und Farbkombinationen und das Papier selber wählt. «Farben sind meine Welt», schwärmt sie. Stolz ist sie auch auf ihre Exaktheit und dass sie die Geduld aufbringen kann, diese Feinarbeit zu vollbringen.
Ausserdem hat Bernadette Brutschin begonnen, auch moderne Buchilluminationen zu kreieren, mit modernen Druckbuchstaben, modernen, schlichten Rahmen, zum Teil mit selber gestalteten Innenbildern in den Zwischenräumen der Buchstaben. Sind die Texte in den historischen Büchern meistens in Latein, so verwendet sie vermehrt auch deutsche Sprüche, Bibelverse, aber auch Lebensweisheiten. Die Formate ihrer Kunstwerke reichen vom grossformatigen gerahmten Bild über A4 bis zur kleinen Postkarte.
Dabei ist das Ehepaar Brutschin sehr produktiv: Fast alle Wände im Haus sind mit Bildern geschmückt, und im Atelier und im «Ausstellungsraum» reihen und stapeln sich kleine und grosse Werke aneinander.
Nicht nur Buchstaben malt Bernadette Brutschin, sondern auch figürliche Motive, meistens Szenen aus der Bibel. Auch das gehört zur Buchmalerei: In früheren Zeiten waren die Bibeln bebildert, um denjenigen, die nicht lesen konnten, das Evangelium visuell näherzubringen. Bernadette Brutschin übernimmt die Vorlagen, die sie genauso exakt ausmalt wie die Einzelbuchstaben, oft aus sogenannten «Stundenbüchern», die bis ins 17. Jahrhundert in Mode waren. Für die Farben verwendet sie Farbstift oder Filzstift, wobei sie ihrer Inspiration freien Lauf lässt und so neue Aspekte und Nuancen hervorbringt – eine künstlerische Arbeit, die mehr ist als blosse Reproduktion eines historischen Originals. Im Gegensatz zur Ikonenmalerei, wo die Farben genau vorgegeben sind, ist sie bei der Buchmalerei nicht gebunden.
Zugang zum Glauben vertieft
Der Beweggrund, sich mit Ikonen- und Buchmalerei zu beschäftigen, ist für Bernadette Brutschin nicht nur die Freude an den Farben und an der künstlerischen Technik, sondern auch ihr Glauben. Das Malen helfe ihr dabei, das Evangelium besser zu verstehen: «Als bekennende Christin habe ich durch die intensiven Malarbeiten einen sehr viel besseren und tieferen Zugang zum Glauben gefunden.»
Buchmalerei als Kunstform ist heute den wenigsten Menschen geläufig – jedenfalls kennt Bernadette Brutschin niemanden in der Gegend, der sich darin betätigt. Aus diesem Grund stellt sie ihre Kunstwerke im Herbst im Kirchgemeindehaus Martinshof in Liestal aus. Die Künstlerin ist der reformierten Kirchgemeinde Liestal dankbar, dass sie diese Ausstellung ermöglicht hat. Die Vernissage ist am 22. September, von 10.30 bis 13 Uhr, danach ist die Ausstellung jeden Sonntag, von 9 bis 12 Uhr geöffnet. Finissage ist am 1. Dezember, von 10.30 bis 13 Uhr.