Der Moment, in dem du nein sagst

Theater Palazzo Rebekka Gather und Livia Kern bringen ihre Wut als Lebensenergie auf die Bühne

BildlegendeFoto: zvg
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Laut einer Studie wird Mädchen ab dem Alter von drei Jahren beigebracht, nicht wütend zu werden. Regt sich ein Junge auf, dann bewerten die Eltern das eher positiv: Er ist selbstbestimmt, er weiss, was er will. Bei Mädchen tendieren die Eltern hingegen dazu, entweder ihre Wut zu ignorieren oder sie ihnen abzutrainieren. Überhaupt ist weibliche Wut etwas, das die Gesellschaft meistens als Fehlverhalten taxiert.

Je tiefer sich Rebekka Gather und Livia Kern ins Thema ihres Tanztheaterstücks «IRA» (lateinisch für «Wut») einarbeiteten, desto bewusster wurde ihnen dies. «Jahrhundertelang wurde der Begriff Hysterie im Zusammenhang mit Wut und Frauen verwendet», hält Livia Kern fest. Wut sei ein Privileg, das am ehesten bei heterosexuellen, weissen Cis-Männern akzeptiert werde. Frauen hätten dagegen verinnerlicht, ihre Wut zu verbergen. «Wir wollten wissen, woher das kommt», sagt Rebekka Gather.

Welche Antworten die beiden Frauen auf diese Frage gefunden haben, wird sich ab Freitag im Theater Palazzo in Liestal zeigen.

Von Seneca bis zum Froschkönig

Für ihre Recherche zogen sie wissenschaftliche Studien bei, machten sich bei Seneca und Aristoteles kundig und untersuchten Märchen. Ausserdem liessen sie sich von den feministischen Comics von Liv Strömquist inspirieren und lasen aktuelle Bücher zum Thema, unter anderem «Wut und Böse» von Ciani-Sophia Hoeder (2021).

Das Märchen vom Froschkönig illustriert die Thematik auf prägnante Weise. In der ursprünglichen Version weigert sich die Prinzessin – gegen den Willen ihres Vaters – den Frosch, den sie als abstossend empfindet, zu küssen. Stattdessem schleudert sie ihn wütend gegen die Wand, worauf er sich in einen Prinzen verwandelt. In der späteren, heute bekannten Version, unterdrückt sie ihren Ekel und küsst den Frosch. Im ersten Fall wird der Moment honoriert, in dem sie sich entscheidet, sich dem Willen ihres Vaters zu widersetzen. Im zweiten Fall wird sie belohnt, weil sie etwas tut, das sie eigentlich nicht will. «Hinhalten, Augen zu und durch», formuliert es Livia Kern.

Sexueller Übergriff, aber Wut fehlt

Aus der persönliche Erfahrung kennen die beiden Frauen diese Situation bestens. Die freischaffenden Tänzerinnen aus Basel lernten sich an einem Tanzmeeting in Freiburg kennen und fanden im Gespräch heraus, dass beide einen sexuellen Übergriff erlebt hatten. Heute sind sie wütend darüber – aber im Moment, als es geschah, äusserte sich die bei beiden Wut nicht unmittelbar. «Woher kommt es, dass wir erst im Nachhinein gemerkt haben, dass es ein Übergriff war?», fragt sich Rebekka Gather. «Und dass die natürliche Reaktion nicht kam?», fügt Livia Kern hinzu.

Bei weiblich sozialisierten Menschen richte sich die Wut oft gegen sie selber, erklärt Rebekka Gather. Sie würden sich vorwerfen, dass sie sich falsch angezogen hätten oder falsch reagiert hätten. «Bevor das passiert, diesen sensiblen Moment gilt es zu erkennen», erklärt Rebekka Gather.

Das Stück «IRA» will deshalb Mut machen: Mut zur Wut. «Nicht eine zerstörerische Wut oder eine, die sich gegen andere richtet», verdeutlicht Livia Kern, «sondern eine Wut, die sich für die eigenen Grenzen einsetzt.» Es gehe nicht um Aggression, sondern darum, im richtigen Moment nein zu sagen und aufzustehen gegen etwas, das als «nicht okay» empfunden werde. In diesem Sinn verstehen die beiden Tänzerinnen Wut als Energie, als Lebenskraft.

Wut will geübt sein

Am Anfang sei ihr Interesse vor allem bewegungstechnisch gewesen, erzählt Rebekka Gather: «Wie lässt sich das tänzerisch ins Bild setzen?» Ein Hauptanliegen ist laut Livia Kern, eine Praxis von Wut zu entwickeln. Angeregt beispielweise von Bewegungen aus der Selbstverteidigung oder aus Yoga-Übungen, versuchen die Frauen, «sich in Wut zu üben». Das gelinge nicht immer, gibt Livia Kern zu: «Man darf in dem Stück auch lachen.» Schliesslich wolle das Stück auch die tragikomische Seite der Thematik zeigen.

«IRA» beschränkt sich auch nicht auf das rein Tänzerische. Zwischen den Szenen lässt eine Moderatorin einige Texte einfliessen. «Sie verkauft Wissen showmässig», drückt sich Rebekka Gather aus. Beide Tänzerinnen betonen zudem, dass sich dass das Stück kein «Frauenratgeber» sei, sondern sich an alle wende.

«Wir verstehen uns als Frauen, wir sind so aufgewachsen, aber das Stück ist genauso für Männer wie für Frauen», sagt Livia Kern. Im Prinzip könnten Männer genausogut ein Stück über Wut schreiben, aber sie würden dann vielleicht andere Themen und Schwerpunkte finden.

Das Tanztheaterstück «IRA» ist Teil des Förderprojekts «SuppArt» des Theaters Palazzo in Liestal. Die Begleitung durch Produktionsleiterin und Palazzo-Teammitglied Cynthia Coray sei ein Angebot gewesen, das sie gern angenommen hätten, meint Livia Kern. Für Freischaffende sei es nicht so einfach, sich zu etablieren, deshalb seien sie sehr froh über das Förder-Format «SuppArt» gewesen.

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